150 Jahre Ölzeitalter

Bislang galt das verschlafene Drake Well in Titusville, Pennsylvania, als Wiege der Ölindustrie Nordamerikas. Doch diesen Rang droht die kleine Ortschaft nun zu verlieren. Denn tatsächlich soll zuvor bereits in Oil Springs im südkanadischen Lambton County ein Förderturm errichtet worden sein. Das behauptet zumindest Emory Kemp, Chef des Instituts für Technikgeschichte und Industriearchäologie an der West Virginia University. Auf einem Symposium im Oil Museum of Canada setzte sich Kemp jüngst dafür ein, Oil Springs endich diese Ehre zuzusprechen und die Stätte zum Weltkulturerbe zu erklären. Schon 1858 war der Geschäftsmann James Miller Williams hier auf Öl gestoßen und hatte in der Folge begonnen, den Rohstoff kommerziell zu fördern. Der Bedarf an Rohöl war rasch gestiegen, seit Lampen nicht mehr mit Waltran, sondern mit Petroleum gespeist wurden.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 17/2008.

Friedenspakt auf Ruinen

Was Politiker nicht schaffen, haben jetzt israelische und palästinensische Archäologen vollbracht: eine Art Friedensabkommen. Am 8. April legte eine unabhängige Arbeitsgruppe unter der Führung der beiden in den USA forschenden Archäologen Ran Boytner und Lynn Swartz Dodd einen 39-Punkte-Plan vor. Er regelt die Rückgabe von bereits ausgegrabenen Artefakten, die staatliche Aufsicht über archäologische Stätten sowie künftige gemeinsame Ausgrabungen im gesamten israelisch-palästinensischen Gebiet. Alle archäologischen Funde sollen nach einer künftigen Grenzziehung in den Besitz derjenigen Nation übergehen, auf deren Territorium sie gefunden wurden. In Vorarbeit haben Boytner und Dodd eine Datenbank mit 1500 Ausgrabungsstätten und Zehntausenden Artefakten erstellt, die von einer neuen Grenzregelung betroffen wären. Darunter fallen auch so prominente Stätten wie die Höhlen von Qumran oder Samaria, die Hauptstadt des biblischen Königreichs Israel. Die Archäologie gilt als besonders heikles Thema zwischen den beiden Völkern.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 17/2008.

Kino der Bronzezeit

Lange vor Erfindung des Papiers gab es bereits das erste Daumenkino. Als Zeichenunterlage dienten den frühen Cartoonisten Tonschüsseln, die man mit dem Daumen in Drehung versetzen konnte. So erweckten die Bildchen auf der Schüsselwand die optische Illusion eines fortlaufenden Films. Ein solches Stück aus der bronzezeitlichen Stadt Schahr-e Sochte (persisch für „verbrannte Stadt“) haben iranische Archäologen jetzt in einer Filmdokumentation vorgestellt. Auf dem etwa zehn Zentimeter hohen Schüsselchen springt eine Bezoarziege in die Luft, schnappt nach den Blättern eines Baumes und landet schließlich wieder auf ihren Hufen – dargestellt in fünf Einzelbildern. Dass die Darstellungen tatsächlich eine animierte Bildersequenz ergeben sollen, hat der iranische Archäologe Mansur Sadschadi herausgefunden. Nach seiner Vermutung ist die Cartoonziege ein Symbol aus dem Kult der Muttergöttin Murkum, dessen Ursprung im heutigen Pakistan liegt.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 13/2008.

Opfergruben der Hexen

Wer auch immer um das Jahr 1640 die flachen Gruben ausgehoben und mit magischen Zutaten gefüllt hat, muss es heimlich und mit größter Vorsicht getan haben. Denn in jenen Tagen der Kirchenkonflikte und des Bürgerkriegs waren Hexenprozesse in England nicht ungewöhnlich. Der Boden einer der Gruben nahe der Stadt Truro in Cornwall ist mit Schwanenhaut ausgelegt, auf zwei Seiten beschwert mit je einer toten Elster. In der Mitte liegen Eier, in einigen davon Küken, kurz vor dem Schlüpfen verendet. Mittlerweile 35 solcher Gruben hat Ausgräberin Jacqui Wood schon gefunden. „Mir fällt einfach keine andere Erklärung für diese Anordnung ein als ein heidnisches Ritual“, sagt die Archäologin. Was sollte der Hexenzauber von Truro bewirken? Schwäne waren die Vögel der heiligen Brigitta, Schutzpatronin der Wöchnerinnen. Elstern sind noch heute in Cornwall mit Aberglauben belegt. „Eine für Sorgen, zwei für Freud“, sagen die Leute, wenn sie einen der schwarz-weißen Vögel sehen. Und Eier stehen nicht nur im britischen Volksglauben für Fruchtbarkeit. „Meine Theorie ist, das junge Mädchen, die im ersten Jahr der Ehe nicht schwanger wurden, mit diesen Opfergruben die höheren Mächte um Hilfe baten“, spekuliert Wood.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 12/2008.

Ayurveda fürs Grabmal

Mit Yoghurt verrührt, gilt Multani Mitti, oder Bleicherde, als ayurvedisches Geheimrezept für schöne Haut. Dieser Tage haben etwa 150 Restauratoren damit begonnen, einem Patienten ungewöhnlicher Art eine verjüngende Schlammpackung mit dieser Wundererde zu verpassen: dem Taj Mahal. Denn Bögen, Winkel und Nischen des 1648 fertiggestellten Mausoleums, das der Großmogul Shah Jahan für seine Hauptfrau Mumtaz Mahal errichten ließ, haben mit den Jahren einen gelblichen Schleier angesetzt. Schuld sind die Industrieabgase der nahen Millionenstadt Agra. Sechs Monate soll es dauern, dann erstrahlt der Marmor wieder in reinem Weiß. Stück für Stück tragen die Restauratoren die Maske auf, lassen den Schlamm über Nacht antrocknen und nehmen ihn dann mit destilliertem Wasser wieder ab. Schönheit hat natürlich ihren Preis: Die ayurvedische Wellness-Kur kostet pro Anwendung 150 000 Euro.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 9/2008.

Museum im ewigen Eis

Archäologen wühlen normalerweise in der Erde – nicht so Anne McConnell: Die australische Wissenschaftlerin grub sich während der vergangenen Wochen durch dicke Schichten aus Eis und Schnee, um zu den verschollenen Hütten des Geologen Douglas Mawson am Cape Denison in der Antarktis vorzustoßen. Der Australier, der 1907 Ernest Shackleton auf dessen erster Expedition begleitete, errichtete die Gebäude im Jahr 1912 als Forschungsstation und überwinterte dort sogar mit seinem Team. Jetzt drohen die Hütten unter der Eislast einzustürzen. McConnell und weitere Spezialisten der Mawson’s Huts Foundation sind gerade von ihrer Expedition zurückgekehrt. Die Organisation will die Relikte konservieren und damt wichtige Zeugnisse aus den Kindertagen der Polarforschung für die Nachwelt erhalten. Während die Gebäude selbst durch das Extremklima stark gelitten haben, sind die Innenräume durch die Kälte ungewöhnlich gut erhalten geblieben. Als wären die Hütten erst gestern verlassen worden, liegen dort noch Briefe, Bücher, Whiskeyflaschen, Keksschachteln und sogar nur leicht verschrumpelte Kartoffeln und Überreste eines erlegten Seehunds herum. „Papier und Glasflaschen sind in gutem Zustand“, sagt Konservatorin Michelle Berry, „nur Metallobjekte wie Dosen sind korrodiert.“ Neben weiteren Reparaturarbeiten an den Gebäuden selbst wird die Aufgabe der nächsten Expedition darin bestehen, die gefährdeten Fundstücke mit einer konservierenden Schutzschicht zu überziehen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 7/2008.

Knochen im Pausenhof

Am Abend des 12. Juli 1691 war das Gras nahe dem irischen Städtchen Aughrim blutgetränkt. 4000 Anhänger das katholischen Königs Jakob II. und 3000 Soldaten des Protestantenführers Wilhelm von Oranien lagen tot auf dem Wiesengrund. Das Gemetzel markiert bis heute den blutigsten Tag in der Geschichte Irlands – und nach Meinung mancher Historiker den Beginn des Nordirland-Konflikts. Jetzt haben Archäologen unter dem Pausenhof einer Grundschule womöglich erstmals die Reste von Männern gefunden, die an diesem Tag auf dem Schlachtfeld von Aughrim starben. Zunächst sollte der Ausgräber Michael Tierney nur eine Routineuntersuchung vornehmen. Völlig unverhofft stieß er dabei auf 32 Skelette. Zumindest zwei der Männer starben offensichtlich nicht friedlich in ihrem Bett: Eines der Skelette war in zwei Hälften gespalten, die Füße des Toten lagen neben dem Schädel. Ein anderer Körper lag in einer flachen Grube, als sei er samt dem abgeschlagenen Kopf nur hastig hineingeworfen worden. Kamen die beiden in der historischen Schlacht um? „Das ist unsere Arbeitshypothese“, erklärt Tierney, „die Knochen werden jetzt forensisch untersucht.“ Der protestantische Oranierorden hat bereits sein Interesse an den Ergebnissen bekundet und gefordert, den Ort zu eienm Park auszubauen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 3/2008.

Antiker Schuh-Tick

Die weibliche Leidenschaft für luxoriöses Schuhwerk ist kein neuzeitliches Phänomen – davon zeugt der jüngste Fund einer römischen Frauenbestattung aus dem 3. Jahrhundert im englischen Boscombe Down (Grafschaft Wiltshire). Die Tote trug exquisite Pantoffeln aus Hirschleder mit Korkabsätzen; die Kanten der Schuhe waren mit Fellstreifen verziert – ein Import aus dem fernen Spanien oder Portugal. In Britannien war solches Schuhwerk damals noch unbekannt. Von einem Begräbnis erster Klasse zeugt auch der Sarkophag der Toten: In der drei Tonenn schweren Sonderanfertigung aus Stein hielt sich die Leiche trotz des feuchten Bodens in außerordentlich gutem Zustand. „Wir haben sogar noch Stoffreste gefunden, die sich dank einer chemischen Reaktion um eine Metallperle herum erhalten haben“, schwärmt Andrew Fitzpatrick vom privaten Ausgräber Wessex Archaeology. Im Arm hielt die Tote zudem ein junges Mädchen, das Stiefeletten aus feinstem Kalbsleder trug – wahrscheinlich ebenso Importware. Wer waren diese beiden Unbekannten mit dem Schuhtick? Bekannt ist nur: Ihr Grab war um 220 nach Christus das erste auf dieem Friedhof. Alle späteren Toten wurden in schlichten Holzsärgen begraben, an den Füßen einfache, derbe Lederstiefel aus heimischer Produktion.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 2/2008.

Friedhof der Küchentiere

In einem Schloss in Schleswig durften vier Schüler Rinder-, Schweine- und Schafknochen sortieren. So begann eine spannende archäologische Expedition in die Welt der Wikinger.

Wo bekommt man heutzutage schon Rinderknochen in die Hand? Vielleicht mal einen Lendenwirbel, wenn man T-Bone-Steaks mag. Aber einen Kiefer? Gar einen Beckenknochen?

An den Wänden der Archäozoologischen Sammlung von Schloss Gottorf in Schleswig hängen sie: Wirbelsäulen, Schlüsselbeine, Oberschenkel, Kieferleisten. Sie stammen von Rind, Schwein, Schaf und anderem Getier. Jan-Christian, 19, Jannik, 19, Marc-André, 18, und Henrik, 16, schauen sich beklommen in diesem unheimlichen Tierfriedhof um.

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Grabsteine im 3-D-Scanner

Informatiker haben eine neue Methode entwickelt, um historische Inschriften zu entziffern. Als erste Testobjekte dienten Yang Cai und seinem Team von der Carnegie Mellon University in Pennsylvania verwitterte Grabsteine aus dem 18. Jahrhundert, die auf dem Friedhof der nahe dem Campus gelegenen Old St. Luke’s Church stehen. Mit einem 3-D-Scanner tasteten die Wissenschaftler zunächst die Inschriftenfelder ab. Mit einem Spezialprogramm machten sie sodann die längst zur Unkenntlichkeit verwitterten Namen und Daten wieder lesbar. Ein Trick des neu entwickelten Verfahrens besteht darin, nur die entscheidenden Ausschnitte in sehr hoher Auflösung zu erfassen, die unwichtigeren in niedrigerer. So lassen sich Berge von Datenmüll vermeiden. Archäologen könnte der Scanner beim Entziffern von Inschriften antiker Ruinen helfen. „Unser Ziel ist es, diese Software auch anderen Bereichen zugänglich zu machen“, erklärt Yang Cai. Die Methode eigne sich etwa, krankhafte Veränderungen auf der Zungenoberfläche eines Patienten zu erfassen – oder auch Muster auf der Meeresoberfläche, die einen Tsunami ankündigen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 44/2007.