Das älteste Bauwerk der USA

Vor rund 4400 Jahren begannen Menschen mit dem Bau von Stonehenge. Die Pyramiden von Gizeh entstanden vor etwa 4600 Jahren. Das älteste Bauwerk Nordamerikas aber ist mehr als doppelt so alt. Und unscheinbar: zwei etwa fünfeinhalb Meter hohe, mit grünem Gras überwachsene Hügel auf dem Campus der Louisiana State University (LSU) in Baton Rouge. Sie sind eingeklemmt zwischen einem Parkplatz und einem Studentenwohnheim, das schon einmal bessere Tage gesehen hat. Vor 11 000 Jahren begannen Menschen, diese Hügel aufzuschichten – und dreieinhalb Jahrtausende brauchte es, bis sie damit fertig waren. Brooks Ellwood, inzwischen emeritierter Professor des Instituts für Geologie und Geophysik der Universität, hat sie untersucht: «Ich unterrichtete einen Kurs in Geophysik und brauchte einen Ort in Campusnähe, an dem wir die Techniken ausprobieren konnten», erzählt er. Die beiden Hügel schienen ihm perfekt dafür. Deren genaues Alter war nicht bekannt, nur dass sie einst Ureinwohner errichtet hatten. Zu den Übungen gehörte auch, Bohrkerne aus den beiden Campushügeln zu ziehen – sowie aus weiteren Hügeln in der Umgebung. Denn die Erdhaufen der LSU sind nicht allein. Die ersten Menschen, die vor rund 12 000 Jahren in der Gegend des heutigen Louisiana eintrafen, bauten jede Menge davon. Es waren Jäger und Sammler, die vor etwa 22 000 Jahren ihre Migration von der damals noch bestehenden Beringbrücke zwischen Asien und Amerika Richtung Süden begonnen hatten. Noch war es kalt in Nordamerika, die Gletscher der letzten Eiszeit zogen sich gerade erst zurück. Die Neuankömmlinge lebten in Familienverbänden und zogen der Nahrung hinterher: Mammuts, Hirsch-Elchen und Riesenfaultieren. Trotz ihrer Mobilität setzten sie Zeichen in die Landschaft: «Es stehen über 800 Hügel in Louisiana, und unser Nachbarstaat Mississippi hat sogar noch mehr», sagt Ellwood. Ob es immer wieder die gleichen Familien waren, die zu ihren Hügeln zurückkehrten, oder ob es Bauwerke waren, zu denen jede vorbeiziehende Gruppe einen Beitrag ­leistete, lässt sich nicht sagen. Die Bohrkerne erzählten aber zumindest, was die Erbauer als Baumaterial verwendet hatten: Lehm, Erde und Asche. Besonders interessant ist dabei die Asche. Sie enthält organisches Material, das sich datieren lässt.

Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 23. Oktober 2022.
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Das Geheimnis der durstigen Ponys

Nicolas Delsol interessiert sich eigentlich nur für Kühe. Der Archäologe, der am Florida Museum of Natural History arbeitet, verfolgt akribisch ihre Wege auf den amerikanischen Kontinenten. Da Rinder ursprünglich weder in Nord- noch in Südamerika heimisch waren, setzten sie erstmals im späten 15. Jahrhundert gemeinsam mit den spanischen Entdeckern und Eroberern ihre Hufe auf amerikanischen Boden. Die Rinderzähne aus dem spanischen Piratennest Puerto Real im Norden der Insel Haiti, das seine Blütezeit im 16. Jahrhundert hatte, schienen ihm folglich ein Schatzfund für seine Studien. Als er sich aber die DNA aus den Zähnen genauer ansah, stach einer heraus. Das Fragment eines Backenzahns, das er da in der Hand hielt, war gar kein Kuh-Kauwerkzeug – sondern stammte von einem Pferd. Und da Pferdeskelette in den archäologischen Hinterlassenschaften deutlich seltener sind als Kuhknochen, legte er die Rinder erst einmal beiseite und beschloss, zunächst der Herkunft dieses Pferdes nachzugehen. Für Archäologen entspricht der Fund eines Pferdezahns in den frühen amerikanischen Siedlungen einem Sechser im Lotto. Denn während Rinder Nutztiere waren, die in grossen Mengen zur Produktion von Fleisch und vor allem Leder gehalten wurden, galten Pferde als Statussymbol. Entsprechend füllen die Knochen von Rindern riesige Abfallgruben, doch Skelette von Pferden sind rar. Im Grunde nahm Delsol aber nur einen kleinen Umweg: «Von Anfang an verbreiteten sich die Rinder in Amerika sehr schnell, weil sie hier auf einen Lebensraum trafen, der ihnen gut bekam. Pferde aber waren essenziell für das Management grosser Rinderherden. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass sie nur kurze Zeit nach den Rindern in Amerika ankamen und mit ihnen über den Kontinent wanderten», sagt er.

Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 02. Oktober 2022.
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