Wächter in der Nacht

Mit dem Bau des ersten Wolkenkratzers der Welt haben die Bewohner von Jericho vor rund 10 000 Jahren offenbar ein Bollwerk gegen die Finsternis geschaffen. Sie errichteten einen über acht Meter hohen steinernen Turm – und zwar genau an jener Stelle, an der am Abend der Sommersonnenwende der Schatten des nahe gelegenen Karantal-Gipfels ihre Siedlung zu verdunkeln begann. Dass die Position des Turmes tatsächlich mit dem Schattenfall übereinstimmt, haben die beiden Archäologen Roy Liran und Ran Barkai von der Tel Aviv University in einer 3-D-Computersimulation nachgewiesen. „Dieser Moment ist dramatisch”, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Antiquity”; während der Schatten des Karantal die ersten Häuser der Siedlung in Dunkelheit tauchte, strahlte die Spitze des Bauwerks noch minutenlang im Sonnenlicht. ”Wir nehmen an, dass der Turm als Wächter gegen die Gefahren errichtet wurde, die im Zwielicht der letzten Strahlen der sterbneden Sonne lauern”, schreiben die Forscher mit einem Anflug von Poesie. Unter den Fachgelehrten gilt der 1952 entdeckte neolithische Bau als eines der ältesten Steinmonumente in der Geschichte der Menschheit.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 09/2011.

Wracks im Giftschlamm

Nach dem neuesten Fund von John Vetter wird kaum ein Schatztaucher freiwillig tauchen wollen. Der Archäologe entdeckte mit Hilfe von Sonartechnik vier Schiffswracks auf dem Grund des Gowanus Canal – eines der wohl dreckigsten Gewässer von New York City. Vetter gehört zu einem Team von Forschern, die im Auftrag der US-Umweltbehörde die Verschmutzung des Kanals untersuchten, wozu formal auch die archäologischen Funde gehören: ein 18 Meter langes Holzboot, das noch aus dem 17. Jahrhundert stammen könnte, zwei Frachtkähne von 38 und 33 Metern Länge sowie ein kleineres Boot. Der neue Report der Umweltbehörde listet aber auch ernsthafte Ökoprobleme auf, hohe Konzentrationen an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen etwa, die zum Teil krebserregend sind. Eine Sprecherin der Umweltbehörde riet, jeden Kontakt mit dem Wasser des Kanals dringend zu vermeiden.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 08/2011.

Braukunst aus dem Weißen Haus

Thomas Jefferson war dritter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Architekt, Gartenbauer, Archäologe, Musiker, Erfinder – und Bierbrauer. Von diesem bislang eher wenig bekannten Talent des Universalgenies können sich künftig Besucher seines Anwesens Monticello im US-Bundesstaat Virginia überzeugen. Dort findet am 21. Februar die Präsentation des Monticello Reserve Ale statt. Ein Braumeister der Starr Hill Brewery braut jetzt wieder wie einst der Präsident. Dabei hatte er jedoch nur vage Vorgaben. Jefferson verwendete für sein Bier, was gerade reif und ausreichend vorhanden war: Gerste, Weizen oder Mais. Auf einen Scheffel Malz kamen drei viertel Pfund Hopfen. Brauen war auf Monticello allerdings anfangs Frauensache: Die Aufsicht führte Gattin Martha. Nach dem Ende seiner Amtszeit ließ Jefferson eigens ein Brauhaus auf Monticello errichten und bildete sogar Sklaven in der Braukunst aus. Jefferson war im übrigen nicht der einzige US-Präsident, der Alkohol herstellte. Der erste US-Präsident George Washington avancierte als Polit-Rentner zum bedeutendsten Whiskeyproduzenten des jungen Landes mit einer Jahresproduktion von 11 000 Gallonen (etwa 41 640 Liter).

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 06/2011.