Nachtrag zur Nonne und Abschied von Armenien

Ihr erinnert Euch an Datev, die Nonne? Dies Land ist so klein, daß jeder jeden kennt, und so kennt auch Anna jemanden, der ihre Eltern kennt. Die sagten, Datev wollte schon lange Nonne werden. Sie hielt sich für häßlich. Dachte, sie würde nie einem Mann finden. Um dieser Schande zu entgehen, war sie die treibende Kraft hinter der Gründung des Ordens von St. Hripsime. Weiterlesen

Endzeittourismus

Jetzt weiß ich, warum Berg-Karabagh Berg-Karabagh heißt. Es heißt so wegen der Berge. Nicht Hügel, nicht sanft, nicht Alpen und nicht Rocky Mountains, nein. Bilderbuchberge, Märchenberge in grün-grau Pastell. So hoch, daß das gesamte Land in den Wolken verschwindet, sozusagen eingewolkt ist in feuchte, kalte Nebelschwaden. Nicht ein Flecken, der auch nur annähernd als waagerecht zu bezeichnen wäre, alles schief, alles schräg, jedes gebaute Haus scheint sich nur mit Mühe gerade noch an den Abhang zu klammern ohne den Halt zu verlieren und hinunterzurutschen. Jedenfalls so viel ich davon sehen konnte, denn das Wetter war ein Musterbeispiel dessen, was der Wetterbericht als „Nebel mit Sichtweiten unter 50 Metern“ bezeichnet. Weiterlesen

Die letzten Helden

Nach dem einstündigen Aufstieg in der brüllen Hitze der Mittagssonne konnte ich nicht mehr viel anderes wahrnehmen als die Watte in meinem Kopf, den metallenen Geschmack im Mund und das hohle Echo meines Herzschlags in den Ohren. Dann tauchte zuerst die spitze Nadel zwischen den Bäumen auf und wenige Schritte später trat ich hinaus in die gleißende Helligkeit einer weiten Fläche aus Beton. Weiterlesen

Brot und Bohnen

Danke für Eure Glückwünsche und für Eure Berichte von der Heimatfront. Ich bin hier darauf angewiesen, jeden Abend die russischen Nachrichten zu verfolgen und ab und an Spiegel online zu checken. Ohne diese zweite Informationsquelle säße ich wohl schon im Flieger zurück nach Deutschland, denn die russischen Nachrichten haben einen Hang zur Blutrünstigkeit, der mir allabendlich den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Seit Tagen habe ich kaum geschlafen, weil sich die Bilder von den Wassermassen immer wieder vor meine Augen drängen. Ich sehe die Fluten von Dresden, die eben noch über den Bildschirm flimmerten, und dann werden sie lebendig in meiner Phantasie, wälzen sich brüllend auf Hamburg zu und gleiten in Albträume ab. Das sind die Nächte. Nur die Tage lenken meine Gedanken auf andere Wege… Weiterlesen

Wenn Heiden pilgern

Ich wollte nicht weg. Ich wollte diesen Ort nie wieder verlassen. Ich wollte einfach nur noch eine Weile sitzen bleiben, eine letzte Zigarette rauchen, und dann aufstehen und in die Wälder gehen. Einen letzten Blick werfen auf den milchgoldenen Morgendunst über den Gipfeln und dann eintauchen in das dunkle grün der Blätter. Tiefer, immer tiefer, bis die schmalen Pfade sich verlieren, bis ich mich selber verliere, bis ich mich auflöse und verschmelze mit den Farben des Waldes. Weiterlesen

Leben im Schatten des Ararat

Ich habe meinen Lieblingsplatz in Yerevan gefunden. Hoch oben auf einem Hügel, direkt zu Füßen der Statue von Mutter Armenien. Sie steht dort, wo einst Stalin grimmig gen Süden blickte. In diese Richtung schaut auch sie, wachend über die Hauptstadt ihres Volkes, hinter der sich aus dem Dunst der Ebene der heilige Berg der Armenier, der Ararat, erhebt. Auf den sind ihre traurigen Armenieraugen gerichtet, sich sehnend nach dem, was ihrem Volk genommen wurde. An wolkenlosen Tagen scheint der Ararat zum Greifen nah zu sein. Man möchte sich aufmachen und hinüberlaufen, und doch liegt zwischen dem Betrachter und dem Berg die Grenze, die kein Armenier übertreten darf. Der Berg, der im armenischen Staatswappen die zentrale Position einnimmt, liegt unweigerlich auf türkischem Feindesland. Der Berg, den die Armenier brauchen, um Wassermelonen essen zu können. Denn erst wenn der Schnee auf dem kleinen Ararat geschmolzen ist, so will es die Tradition, ist die Zeit für Wassermelonen gekommen. Pech, wenn der Beginn der Wassermelonenernte in diesige Tage fällt, an denen Schnee und Wolken über den Todesstreifen hinweg ununterscheidbar bleiben. Weiterlesen

Im Land der Bambiaugen

Soll ich sagen, daß ich fast ein bißchen enttäuscht bin? Ich hatte den Orient erwartet. Während der langen Abende im norddeutschen Dauerregen hatte ich mir Begriffe wie „Seidenstraße“ und „persisches Herrschaftsgebiet“ genüßlich über die Zunge rollen lassen, freute mich auf den Staub, den geliebten, auf Lastwagen, die Abends durch die Straßen fahren und Diesel gegen die Mücken versprühen. Und was finde ich? Nichts von alledem… Weiterlesen

Besuch bei Lenin

Der Mensch ist unglaublich zäh und widerstandsfähig. Wir müssen uns bei weitem keine Sorgen um unsere Umwelt machen, da ist noch viel Spielraum, in dem wir überleben können. Treibhauseffekt? CO2-Gehalt? Ha! …

Moskau Anfang August 2002. Die Waldbrände allein wären noch nicht so schlimm gewesen. Das Problem war, daß der Torf Feuer fing. Kein Mensch würde freiwillig Torf in seinem Kamin anzünden, schlicht wegen der Rauchentwicklung. Nun stellt Euch eine durchschnittliche Großstadt vor, mit den durchschnittlichen Autoabgasen, der durchschnittlichen Dunstglocke der Ausdünstungen von Millionen Menschen, Nehmt dieses Bild und erhitzt die Temperatur auf 35 Grad. Okay, und jetzt langsam, ganz vorsichtig, blast den Qualm von Torffeuern in diesen Hexenkessel hinein. Mehr, immer mehr. Bis der CO2 Gehalt den für menschliches Überleben empfohlenen Grenzwert um ein vielfaches übersteigt. Man überlebt trotzdem. Irgendwie überlebt man. Zwar füllen sich bei jedem Atemzug die Lungen nicht mit Sauerstoff, sondern mit einem undefinierten bräunlichen Gasgemisch, aber irgendwie funktioniert der Körper weiter. Weiterlesen