Ritter Narbengesicht

Britische Anthopologen machen es möglich, ins Gesicht eines mittelalterlichen Ritters zu schauen – 669 Jahre nach dessen Tod. Sir John de Stricheley starb am 10. Oktober 1341, als er das von den Schotten belagerte Stirling Castle für England verteidigte. Der wackere Mann wurde – gemeinsam mit neun weiteren Toten – in der Burgkapelle beigesetzt. Zu Lebzeiten war Sir John offenbar hart im Nehmen: Sein Schädelknochen wies eine deutliche Delle auf, wahrscheinlich durch einen Axthieb. Die Wunde war jedoch zum Todeszeitpunkt schon lange wieder verheilt. Auch fehlten ihm eine ganze Reihe Zähne – nicht etwa durch Karies, sondern infolge von Gewaltanwendung. Die Gesichtsrekonstruktion des Haudraufs zeigt die Spuren eines abenteuerlichen Lebens: „Er war ein sehr starker und durchtrainierter Edelmann mit der Physiognomie eines professionellen Rugbyspielers”, erklärt Archäologe Richard Strachan. In Sir Johns Grab fanden die Forscher auch das Skelett eines kleinen Jungen. Ob es sich um den Sohn des zu seinem Todeszeitpunkt etwa 25 Jahre alten Ritters handelt, ist nicht bekannt. Auch die Knochen einer Frau lagen in unmittelbarer Nähe. Ihr Schädel war vom Hieb eines Streitkolbens zerschmettert.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 22/2010.

Rotwein aus dem Brunnen

Zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten ziert wieder ein Weinbrunnen einen englischen Königspalast. Historiker haben ihn nach einem Gemälde aus der Zeit Heinrichs VIII. für Hampton Court Palace bei London rekonstruiert. In dem achteckigen Brunnen plätschern an Wochenenden und Feiertagen für eine Stunde Rotwein und gekühlter Weißwein aus der französischen Gascogne – an gewöhnlichen Werktagen allerdings nur Wasser. Das 4,30 Meter hohe Gebilde steht in einem Hof des Palastes; genau dort, wo Archäologen vor zwei Jahren tatsächlich die Basis eines ähnlichen Brunnens gefunden haben. Von Heinrich VIII. ist überliefert, dass er zeitweilig bis zu 15 000 Gallonen Wein in seinen Kellern gehortet hat. Gelegenheiten zum Saufgelage gab es zu seiner Zeit reichlich: Zur Krönung seiner zweiten Ehefrau Anne Boleyn im Jahr 1533 etwa floss in öffentlichen Brunnen Londons einen ganzen Tag lang Freiwein für alle Untertanen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 19/2010.

Geburtsstunde der Menschenkleidung

Unsere Vorfahren haben sich offenbar schon weit früher in Kleider gehüllt als bislang angenommen. Das hat ein Team um den US-Biologen Andrew Kitchen von der Pennsylvania State University herausgefunden – auf dem Umweg über die Tierwelt. Durch umfangreiche Erbgutanalysen ermittelten die Forscher, dass sich die Kleiderlaus vor rund 190000 Jahren im Stammbaum der Menschenläuse abspaltete. Ihre Entstehung, so die Forscher, wäre nicht möglich gewesen, wenn ihr der Urmensch zu dieser Zeit keinen geeigneten Lebensraum geboten hätte. Zwar verloren die Vorfahren des Homo sapiens schon vor mehr als einer Million Jahren ihre schützende Körperbehaarung. Viele Indizien sprachen allerdings bislang dafür, dass er erst viel später damit begann, seine nackte Haut mit Tierfellen oder pflanzlichen Geweben zu bedecken. Andere Forscher gingen bisher davon aus, dass diese Kulturwende erst vor rund 100000 Jahren stattgefunden haben könnte.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 18/2010.