Im Land der Bambiaugen

Soll ich sagen, daß ich fast ein bißchen enttäuscht bin? Ich hatte den Orient erwartet. Während der langen Abende im norddeutschen Dauerregen hatte ich mir Begriffe wie „Seidenstraße“ und „persisches Herrschaftsgebiet“ genüßlich über die Zunge rollen lassen, freute mich auf den Staub, den geliebten, auf Lastwagen, die Abends durch die Straßen fahren und Diesel gegen die Mücken versprühen. Und was finde ich? Nichts von alledem… Weiterlesen

Besuch bei Lenin

Der Mensch ist unglaublich zäh und widerstandsfähig. Wir müssen uns bei weitem keine Sorgen um unsere Umwelt machen, da ist noch viel Spielraum, in dem wir überleben können. Treibhauseffekt? CO2-Gehalt? Ha! …

Moskau Anfang August 2002. Die Waldbrände allein wären noch nicht so schlimm gewesen. Das Problem war, daß der Torf Feuer fing. Kein Mensch würde freiwillig Torf in seinem Kamin anzünden, schlicht wegen der Rauchentwicklung. Nun stellt Euch eine durchschnittliche Großstadt vor, mit den durchschnittlichen Autoabgasen, der durchschnittlichen Dunstglocke der Ausdünstungen von Millionen Menschen, Nehmt dieses Bild und erhitzt die Temperatur auf 35 Grad. Okay, und jetzt langsam, ganz vorsichtig, blast den Qualm von Torffeuern in diesen Hexenkessel hinein. Mehr, immer mehr. Bis der CO2 Gehalt den für menschliches Überleben empfohlenen Grenzwert um ein vielfaches übersteigt. Man überlebt trotzdem. Irgendwie überlebt man. Zwar füllen sich bei jedem Atemzug die Lungen nicht mit Sauerstoff, sondern mit einem undefinierten bräunlichen Gasgemisch, aber irgendwie funktioniert der Körper weiter. Weiterlesen

Der Tod des Meisterspions

Der Hund blinzelte mit den Augen und nahm Witterung auf. Unter den vertrauten Duft der Schafherde, die friedlich nahe der syrisch-libanesischen Grenze schlief, mischte sich ein anderer aufwühlender Geruch. Er schlug an, um seinen Herren zu wecken. Gerade noch sah der Hirte vier Männer mit einer Kiste Richtung Grenze verschwinden. Den alarmierten Grenzern konnten die vermeintlichen Schmuggler zwar entkommen, doch ihre Kiste mussten sie zurücklassen – darin lag ein verwesender Leichnahm. Gerichtsmediziner stellten am Hals des Toten Spuren fest, die nur das ruckartige Zusammenziehen einer Metallschlinge verursacht haben konnten. Beim Hängen. Es waren die sterblichen Überreste von Eli Cohen. Weiterlesen

Pogrom im Schtetl

Zuerst Ekel, dann Mitleid, empfand der Dichter Heinrich Heine, als er „den Zustand dieser Menschen näher betrachtete und die schweinestallartigen Löcher sah, worin sie wohnten, mauschelten, beteten, schacherten und – elend waren…“ Doch so elend es dort auch sein mochte, das Schtetl – die jüdische Siedlung oder das jüdische Viertel einer Kleinstadt – war für die Juden eine heile Welt. Hier gab es eine Synagoge, einen jüdischen Friedhof und eine mikwe, das rituelle Badehaus. Alles im Schtetl war jüdisch, die Kleidung, die Sprache, die Sitten. Da die russischen Gesetze im ausgehenden 19. Jahrhundert den Juden nur sehr begrenzt das Arbeiten erlaubten, streiften viele von ihnen Tag für Tag durch die armseligen Gassen, um hier und da Beschäftigung zu finden – ein wenig zu handeln, ein bißchen zu tauschen, vielleicht einen Botengang zu erledigen oder gar eine Heirat zu vermitteln. „Luftmenschen“ nannte man diese armen Kreaturen, weil sie von der Luft zu leben schienen. Dass das Leben auch anders aussehen könnte als im verarmten Schtetl war vielen von ihnen nicht bewusst. Die wenigsten Juden verließen zu Lebzeiten je ihr Viertel oder bekamen gar eine ferne Großstadt wie Moskau oder Kiew zu sehen. Sie führten ihr Leben – und blieben unter sich. Weiterlesen

Erleuchtung aus der Höhle

„Zu verkaufen: biblische Handschriften, die bis mindestens 200 v. Chr. zurück datieren. Hervorragend geeignet als Schenkung einer Privatperson oder einer Gruppe an ein wissenschaftliches oder religiöses Institut. Chiffre F 206.“

Diese Anzeige auf Seite 14 des Wall Street Journal vom 1. Juni 1954, zwischen Annoncen für Stahlbehälter oder elektrische Schweißapparate und den Wohnungsangeboten, vermochte kaum Interesse bei den Lesern zu erregen. Und doch ist dieses Angebot in etwa so spektakulär, als fände man auf einem Flohmarkt die Totenmaske des Tut-Anch-Amun zwischen Spitzenblusen und einer gesprungenen Suppenschüssel mit Blümchenmuster. Denn die unter Chiffre F 206 zum Verkauf stehenden Schriften sind Bibel-Urtexte, geschrieben zu einer Zeit, als es das Neue Testament, wie wir es heute kennen, noch gar nicht gab. Geschichten, die als nicht geeignet für die Heilige Schrift befunden wurden und so in Vergessenheit gerieten. Weiterlesen

Zu schwach für die Frauen

8 Tote, 17 Tote, 2 Tote… Die Zahlen der getöteten Israelis bei palästinensischen Selbstmordattentaten nehmen sich bescheiden aus im Vergleich mit dem Anschlag, den ein Israeli um das Jahr 1200 v. Chr. auf eine Versammlung von Palästinensern verübte. Über 3000 feiernde Zivilisten riß Samson mit sich in den Tod, als er damals den Tempel des Dagon zum Einsturz brachte. Weiterlesen

Beutel-Kunst

Die Kokos-Mais Suppe ist nahezu perfekt. Cremig-sämig, von einer Konsistenz, die sich am Gaumen anfühlt, als ob man sein Lieblingssweatshirt über den Kopf zieht. Markus und Daniel haben sie gekocht. Zwei Tage lang haben sie in der Küche gestanden und einen kleinen Suppenvorrat angelegt. Dieser wird bei Bedarf in der Lounge des kleinen Geschäfts in Davos hungrigen, neugierigen oder einfach nur durch Zufall in den Laden gestolperten Menschen serviert. Eigentlich geht es in dem Laden nicht um Suppen. Und weder Markus noch Daniel sind Koch. Weiterlesen

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Imperium USAnum

Da fährt er auf zu den Wolken, sicher geleitet von zwei Jungfrauen, die Freiheit und Sieg personifizieren, geht ein in die Gemeinschaft der Unsterblichen — wie einst die römischen Kaiser. Doch der Mann auf dem Gemälde ist kein göttlicher Imperator, sondern ein demokratisch gewählter, durch und durch irdischer Staatschef: George Washington, erster Präsident der Vereingten Staaten von Amerika. Das Fresko schmückt die Kuppel des Capitols in Washington. Die Architektur des Gebäudes ist dem Pantheon nachempfunden, in dem die alten Römer ihre Götter verehrten. Benannt wurde es nach einem der sieben Hügel der Ewigen Stadt, und zwar jenem, auf dem der antike Senat seinen Sitz hatte. Die Gründungsväter Amerikas nahmen fleißig Anleihen bei römischen Vorbildern, um den Anspruch ihres Volkes auf Macht, Ruhm und Ehre darzustellen. Die junge Nation sollte ein neues Rom werden. Weiterlesen

Krumme Geschäfte

Am Morgen des 3. Februar 1975 schließt der Chef der United Fruit Company Eli Black sorgfältig seine Bürotür im 44. Stock des New Yorker Pan Am Buildings hinter sich zu. Er nimmt seinen Aktenkoffer, zertrümmert die Scheibe und springt. Sein Körper zerplatzt auf dem Asphalt der belebten Park Avenue. Als die Ermittler ihre Arbeit aufnehmen, stellt sich heraus, daß United Fruit dem Präsidenten von Honduras insgesamt 2,5 Millionen US Dollar geboten hat, wenn die Firma bevorzugt bei der Festlegung von Ausfuhrzöllen behandelt wird. Doch Black ist tot und das wahre Ausmaß des Bestechungsskandals wird mit ihm begraben. United Fruit zahlt 15 000 Dollar Strafe und die Akten werden stillschweigend zugeklappt. Weiterlesen

Postfach 1663 Santa Fe

Stirling Colgates Haut dampft, als er vom Spielfeld zurück zu dem Holzverschlag stapft, der den Jungs als Unterkunft dient. Selbst jetzt noch, Anfang Dezember, lassen die Lehrer sie nur in kurzen Hosen Sport treiben. Es diene der Abhärtung, wird ihnen gesagt. Abhärtung hatten sie alle bitter nötig, als sie aus den wohlgeheizten Neuengland-Villen ihrer steinreichen Eltern hierher auf die Ranch School kamen. Hoch in die Sangre de Cristo Mountains, wo die pinienprickelnde Luft so dünn und klar ist, daß ein tiefer Atemzug während der ersten Wochen hier oben den stadtgewöhnten Lungen schmerzt. Sie alle sind hergeschickt worden, um von verzärtelten Ostküsten-Jungs zu harten Männern der Berge zu reifen. Weiterlesen