„Zu verkaufen: biblische Handschriften, die bis mindestens 200 v. Chr. zurück datieren. Hervorragend geeignet als Schenkung einer Privatperson oder einer Gruppe an ein wissenschaftliches oder religiöses Institut. Chiffre F 206.“
Diese Anzeige auf Seite 14 des Wall Street Journal vom 1. Juni 1954, zwischen Annoncen für Stahlbehälter oder elektrische Schweißapparate und den Wohnungsangeboten, vermochte kaum Interesse bei den Lesern zu erregen. Und doch ist dieses Angebot in etwa so spektakulär, als fände man auf einem Flohmarkt die Totenmaske des Tut-Anch-Amun zwischen Spitzenblusen und einer gesprungenen Suppenschüssel mit Blümchenmuster. Denn die unter Chiffre F 206 zum Verkauf stehenden Schriften sind Bibel-Urtexte, geschrieben zu einer Zeit, als es das Neue Testament, wie wir es heute kennen, noch gar nicht gab. Geschichten, die als nicht geeignet für die Heilige Schrift befunden wurden und so in Vergessenheit gerieten.
Aufgeschrieben wurden diese Texte in dem Zeitraum zwischen 200 v. Chr. und der Zerstörung des zweiten Tempels von Jerusalem im Jahr 70 unserer Zeitrechnung. Sie waren Bestandteil einer großen Bibliothek, in der die Anführer der religiösen Kulte dieser Zeit ihr Wissen um Götter und Menschen sammelten. Von diesen kleinen und großen Kulten gab es viele. Einige verehrten die alten griechischen Götter. Etwa Dionysos, für den die Frauen sich in Extase tanzten, um dann im Rausch ein Menschenopfer in kleine, blutige Stücke zu zerreißen. Andere glaubten an Jahwe, den alten Gott des Volkes Israel, der von seinen Anhängern auch schon mal forderte, den eigenen Sohn auf dem Opferaltar darzubringen. Und dann war da noch ein kleiner, relativ junger Kult, der einem gewissen Jesus von Nazareth huldigte. Dieser Jesus hatte sich selber zum Opfer auserkoren und seine Jünger angewiesen, in Erinnerung an sein Martyrium einmal die Woche symbolisch in Form von Wein und Brot sein Blut zu trinken und sein Fleisch zu essen.
Ein Teil der religiösen Bibliothek dieser wildbewegten Zeit, in der das aufstrebende römische Reich seine Finger nach den Ufern des Toten Meeres ausstreckte, wurde in einem Höhlensystem hoch über dem salzigen Strand aufbewahrt. In den Wirren der Eroberungen kamen um das Jahr 70 die Priester, die um diese Höhlen wußten, ums Leben – ohne ihr Wissen an Nachfolger weitergeben zu können oder zu wollen. So wurde in den Schriftrollen vom Toten Meer ein lebendiges Bild der Religionen festgehalten, ein farbiger Schnappschuß aus einer Zeit, die wir nur verzerrt kennen, herab interpretiert von den Kanzeln einer in den Jahrhunderten erstarrten und erkalteten Kirche.
Fast 2000 Jahre lang betrat kein Mensch diese mit Schriftrollen gefüllten Höhlen. Bis im Frühjahr des Jahres 1947 der Hirtenjunge Muhammad adh-Dhib – was Muhammad der Wolf bedeutet – vom Beduinenstamm der Ta amireh auf der Suche nach einer verirrten Ziege über die Felsen von Qumran kletterte und den Eingang zu einer Höhle entdeckte. Ängstlich warf er einen Stein in die Dunkelheit, um die möglicherweise darin versteckte Ziege aufzuschrecken. Doch was er hörte war kein verschrecktes Geblöke sondern das Klirren von zerbrechenden Tonwaren. Muhammad hatte einen Schatz gefunden. Zwar leuchteten aus den zerbrochenen Krügen keine Juwelen sondern bröckelten alte Lederrollen mit kleinen Schriftzeichen darauf, aber auf dem Schwarzmarkt würden sich diese leicht zu Gold machen lassen.
Nach dem damals herrschenden Recht im britischen Mandat Palästina gehörten alle archäologischen Funde dem Staat. Jeder Fund musste im Rockefeller-Museum im arabischen Teil Jerusalems gemeldet und abgegeben werden. Doch in jenen Tagen des Jahres 1947, in denen sich Araber, Juden und Briten blutig um die Herrschaft in Palästina stritten, hatten die Behörden Wichtigeres zu tun, als den Schwarzmarkt für Altertümer zu kontrollieren.
So begann die Odysse der Schriftrollen von Qumran, von Hand zu Hand, von Besitzer zu Besitzer, von Museum zu Museum, von Arabern zu Juden zu Christen zu Atheisten. Geschrieben wurde viel über die Schriften vom Toten Meer – genug um eine eigene Bibliothek zu füllen. Aber wer auch immer sie besaß, veröffentlichte sie nie vollständig. Gerüchte brodeln, daß sonst die Bibel neu datiert oder eventuell sogar neu geschrieben werden müsse. Der farbige Schnappschuß von Jesus und seinem Leben wird – wenn er in den Schriftrollen von Qumran wirklich zu finden war – wohl weiterhin in dunklen, verschlossenen und mit der Zeit vergessenen Archiven der Kirchenväter ruhen.
Erschienen als Teil der Serie Wem gehört das Heilige Land, stern 20/2002