Der Tod des Meisterspions

Der Hund blinzelte mit den Augen und nahm Witterung auf. Unter den vertrauten Duft der Schafherde, die friedlich nahe der syrisch-libanesischen Grenze schlief, mischte sich ein anderer aufwühlender Geruch. Er schlug an, um seinen Herren zu wecken. Gerade noch sah der Hirte vier Männer mit einer Kiste Richtung Grenze verschwinden. Den alarmierten Grenzern konnten die vermeintlichen Schmuggler zwar entkommen, doch ihre Kiste mussten sie zurücklassen – darin lag ein verwesender Leichnahm. Gerichtsmediziner stellten am Hals des Toten Spuren fest, die nur das ruckartige Zusammenziehen einer Metallschlinge verursacht haben konnten. Beim Hängen. Es waren die sterblichen Überreste von Eli Cohen.

Dieser Versuch, Eli Cohen heim nach Israel zu holen, war nur einer von vielen, die seit seiner Hinrichtung unternommen worden waren. Denn Cohen ist ein Held, der beste Spion, den Israel je hatte. Drei Jahre lang bewegte er sich frei in syrischen Regierungskreisen und morste Nacht für Nacht nach Tel Aviv, was er über geplante Aktivitä ten der Baath-Partei und des MilitŠrs erfahren hatte.

Cohen war zum Spion geboren, gesegnet mit blendendem Aussehen, phänomenalem Gedächtnis, technischer Begabung und Gespür für Sprachen. Vom Mossad erhielt er Ausbildung und Ausrüstung. Deren Herzstück bestand aus einer wahren Kostbarkeit: einem Morsegerät, das in den Boden eines antiken Backgammonspiels eingelassen war. Getarnt als syrischer Antiquitätenhändler nahm Eli Cohen 1961 seine Geheimdiensttätigkeit in Argentinien auf. Kamal Amin Taabet, wie er nun hieß, machte sich schnell in Buenos Aires unter den Anhängern der aufstrebenden syrischen Baath-Partei beliebt, die ihn als wohlhabenden Geschäfts- und Lebemann mit patriotischen Interessen schätzten. Als die Baath-Partei an die Macht kam, schien es selbstverständlich, daß TaÕabet seinen politischen Freunden nach Damaskus folgte.

Zu seinen engsten Vertrauten zählte der syrische Militärattaché in Argentinien, General Amin al-Hafez. Den smarten Taabet und den breitschultrigen General verband mehr als die gleiche politische Gesinnung. Es war eine tiefe Freundschaft. Als al-Hafez zum Premierminister erhoben wurde, wollte er seinen Freund zum Vize-Minister für Verteidigung ernennen. Verhindert wurde dies nur durch Cohens Verhaftung wenige Tage vor der Ernennung. Doch bereits ohne politischen Posten war Eli Cohen kein Regierungsgeheimnis verborgen geblieben. Sein Apartment in Damaskus wurde Treffpunkt für alle Aktivitäten, bei denen seine Regierungsfreunde ihre Frauen zu Hause ließen: Gespräche über Politik und Schäferstündchen mit Sekretärinnen. Für diese Anlässe hatte Cohen einen Salon eingerichtet, in dem hinter Tapeten und Spiegeln Abhöranlagen und Kameras jeden Ton und jede Bewegung aufzeichneten.

Der Höhenflug des Eli Cohen endete jäh in den Morgenstunden des 24. Januar 1965. Gerade verklangen die letzten blechernen Silben des Allah akbar. Cohen brauchte diesen Weckruf nicht, er saß bereits seit einer Stunde über das Backgammonbrett gebeugt und morste. Darauf hatte der syrische Geheimdienst nur gewartet. Dass ein Spion aus Damaskus nach Tel Aviv funkte, war bekannt. Um diesen zu orten, war sämtlicher Funkverkehr für 24 Stunden unterbrochen worden. Die Stille im Äther zerrissen als einzige Signale Eli Cohens Morsezeichen – laut und deutlich. Eine Spezialeinheit stürmte das Apartment. Cohen griff eilig zu den bereitliegenden Zyanid-Kapseln, doch die Soldaten bemerkten die Bewegung und warfen sich auf ihn. Eli Cohen sollte noch vier weitere Monate zu leben haben – bis der Henker die dünne Schlinge um seinen Hals legte. Heute liegt der Leichnahm an einem geheimen Ort in Tonnen von Beton eingegossen. Damit kein Mensch Eli Cohen jemals wieder ausgraben kann.

Erschienen als Teil der Serie „Wem gehört das Heilige Land“, stern 23/2002