Jahrtausende lang haben Steinzeitmenschen ihre Toten in der westfälischen Blätterhöhle bestattet, dann versiegelte ein Felssturz den Eingang. Heute machen Archäologen dort einzigartige Funde – für die Forscher ist es ein Trip in die Unterwelt.
Archiv der Kategorie: Steinzeit
Ötzis letztes Essen
Vor rund 5300 Jahren starb Ötzi, der berühmt gewordene Mann aus der Jungsteinzeit. Vor 20 Jahren fanden Spaziergänger Ötzis Leiche, seitdem wurde die Mumie immer wieder untersucht. Jetzt haben Forscher sogar herausgefunden, was Ötzi zuletzt gegessen hatte – seinen letzten Snack verspeiste der Eismann nur etwa 30 Minuten bis zwei Stunden vor seinem Tod. Im Magen fanden sie einzelne Fleischbrocken: Ötzi hatte Steinbock gegessen. Ob er den Bock roh verschlang oder vorher grillte, konnten sie allerdings nicht sagen. Ascheteilchen in seinem Darm könnten von einem Feuer stammen, über dem der Eismann sein Steak röstete. Allerdings fanden die Forscher zwischen den Essensresten auch Tierhaare und Fliegenreste – besonders sorgfältig hatte er seine Mahlzeit also nicht zubereitet. Es hat lange gedauert, bis die Mumienexperten den Magen überhaupt finden konnten. Denn der war nach dem Tod des Eismanns dorthin verrutscht, wo sonst die Lungen liegen.
Erschienen in Dein Spiegel 08/2011.
Wächter in der Nacht
Mit dem Bau des ersten Wolkenkratzers der Welt haben die Bewohner von Jericho vor rund 10 000 Jahren offenbar ein Bollwerk gegen die Finsternis geschaffen. Sie errichteten einen über acht Meter hohen steinernen Turm – und zwar genau an jener Stelle, an der am Abend der Sommersonnenwende der Schatten des nahe gelegenen Karantal-Gipfels ihre Siedlung zu verdunkeln begann. Dass die Position des Turmes tatsächlich mit dem Schattenfall übereinstimmt, haben die beiden Archäologen Roy Liran und Ran Barkai von der Tel Aviv University in einer 3-D-Computersimulation nachgewiesen. Dieser Moment ist dramatisch, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt Antiquity; während der Schatten des Karantal die ersten Häuser der Siedlung in Dunkelheit tauchte, strahlte die Spitze des Bauwerks noch minutenlang im Sonnenlicht. Wir nehmen an, dass der Turm als Wächter gegen die Gefahren errichtet wurde, die im Zwielicht der letzten Strahlen der sterbneden Sonne lauern, schreiben die Forscher mit einem Anflug von Poesie. Unter den Fachgelehrten gilt der 1952 entdeckte neolithische Bau als eines der ältesten Steinmonumente in der Geschichte der Menschheit.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 09/2011.
Der beste Freund im Eintopf
Amerikas erster Hund landete offenbar in der Suppe. Darauf deutet ein Stück Hundeknochen hin, auf das der US-Anthropologe Samuel Belknap in einem rund 9400 Jahre alten Menschenkot-Haufen gestoßen ist. Es handelt sich um das Fragment eines Schädelknochens und gelangte vermutlich über eine Mahlzeit in den Verdauungstrakt – ein Beleg dafür, dass der beste Freund des Menschen in der Steinzeit auch mal im Eintopf endete. Die Entdeckung war eine Überraschung. Belknap hatte den bereits in den siebziger Jahren in der Hinds-Höhle im südwestlichen Texas gefundenen Menschenkot-Brocken noch einmal unter die Lupe genommen. Eine Erbgutanalyse des Knochens ergab, dass er eindeutig von einem Haushund stammt – und nicht von einem Wolf, Kojoten oder Fuchs. Ein Kollege Belknaps schätzt, dass es sich um eine Frühform jener kurznasigen Hunde handelte, die bei den Indianern der Great Plains sehr beliebt waren.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 04/2011.
Steine schleppen ohne Muskelkater
Schottland – Im Osten Schottlands gibt es eine Menge kleiner, verzierter Steinkugeln. Spielten die Leute in der Jungsteinzeit damit etwa Tennis oder Cricket? Der Archäologe Andrew Young hat eine bessere Erklärung: Steinzeitliche Baumeister könnten die Bälle benutzt haben, um damit Riesensteine zu bewegen für Monumente in Schottland oder Stonehenge. Das ist ein Bauwerk im Süden Englands, das aus meterhohen Steinen besteht.
Weiterlesen
Kugellager für den Hinkelsteintransport
Das schottische Aberdeenshire ist unter Archäologen für zwei Dinge bekannt: für Funde von etwa tennisballgroßen Steinkugeln und für seine megalithischen Steinkreise. Nun hat der Archäologe Andrew Young von der University of Exeter herausgefunden, dass die kleinen Steinkugeln und die prähistorischen Steinkreise zusammenhängen könnten. Die Baumeister der Monumente, meint Young, benutzten die Bälle, um darauf die großen Brocken zu transportieren. Der Forscher kam darauf, weil fast alle der über 400 bekannten Steinkugeln gleich groß sind – ihr Durchmesser beträgt ziemlich genau 70 Millimeter. Anhand eines kleineren Holzmodells konnte er zeigen, dass die Methode einwandfrei funktioniert: Ich legte 100 Kilogramm Beton auf die Kugeln und schaffte es, das Gewicht mühelos mit einem Finger zu bewegen, berichtet der Forscher. Die Megalithen der schottischen Steinkreise bringen allerdings bis zu 70 Tonnen auf die Waage. Also konstruierte Young ein größeres Modell – stabil genug, um zumindest das Gewicht eines kleineren Hinkelsteins zu tragen. Mit acht Leuten konnte sein Team auch diese Riesenlast mühelos auf den kleinen Kugeln transportieren. Auch im südenglischen Stonehenge, so vermutet der Experte für experimentelle Archäologie, könnten die Steinzeitspediteure ihre Sarsensteine auf solchen Kugellagern bewegt haben.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 48/2010.
Nordisches Mini-Pompeji
In Norwegen sind Ausgräber auf eine Art Mini-Pompeji gestoßen. Die Siedlung in der Nähe der heutigen Stadt Kristiansand wurde zwar nicht von Vulkanasche zugedeckt, aber um 3500 vor Christus urplötzlich von Sand verschüttet. Der Sand konservierte Mauern, Pfeilspitzen und jungsteinzeitliche Gefäße. Archäologen hatten in Norwegen aus jener frühen Epoche bislang nur stark zertrümmerte Gefäße gefunden. Nun zogen sie ein komplettes Exemplar mit einem Randdurchmesser von 35 Zentimetern aus dem Boden. Warum die Stadt unter Sand verschüttet wurde, ist ein Mysterium. Ausgrabungssprecher Håkon Glørstad vermutet, dass ein Sandsturm das Dorf einst begrub. Zu jener Zeit war das Klima in Norwegen trockener als heute, Sandstürme traten recht häufig auf. Die Archäologen planen nun, Schicht um Schicht zu entfernen. Glørstad: Wir gehen so behutsam vor wie bei der Ausgrabung eines Dinosaurierskelettes.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 42/2010.
Stonehenge war nicht allein
Erschienen in Geo, Juni 2010
Hat die Megalithkultur in England viel früher begonnen als bislang angenommen?
Das Dartmoor im Süden Englands ist reich an vorgeschichtlichen Monumenten. Etwa 80 Steinsetzungen sind aus der Region bekannt. Doch sie alle standen bislang im Schatten des bekanntesten und angeblich sehr frühen Megalithbauwerks: Stonehenge. Nun aber hat der Archäologe Tom Greeves in einem entlegenen Winkel des Dartmoors eine bislang unbekannte Reihe aus Riesensteinen entdeckt – und dabei den Ursprung der britischen Steinformationen um bis zu 600 Jahre weiter in die Vergangenheit verlegt.
Weiterlesen
Geburtsstunde der Menschenkleidung
Unsere Vorfahren haben sich offenbar schon weit früher in Kleider gehüllt als bislang angenommen. Das hat ein Team um den US-Biologen Andrew Kitchen von der Pennsylvania State University herausgefunden – auf dem Umweg über die Tierwelt. Durch umfangreiche Erbgutanalysen ermittelten die Forscher, dass sich die Kleiderlaus vor rund 190000 Jahren im Stammbaum der Menschenläuse abspaltete. Ihre Entstehung, so die Forscher, wäre nicht möglich gewesen, wenn ihr der Urmensch zu dieser Zeit keinen geeigneten Lebensraum geboten hätte. Zwar verloren die Vorfahren des Homo sapiens schon vor mehr als einer Million Jahren ihre schützende Körperbehaarung. Viele Indizien sprachen allerdings bislang dafür, dass er erst viel später damit begann, seine nackte Haut mit Tierfellen oder pflanzlichen Geweben zu bedecken. Andere Forscher gingen bisher davon aus, dass diese Kulturwende erst vor rund 100000 Jahren stattgefunden haben könnte.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 18/2010.
Amputation mit dem Flintsteinmesser
Steinzeitheiler haben bei ihren Patienten nicht nur Schädel aufgebohrt, sondern auch Gliedmaßen amputiert. Das zeigt das 7000 Jahre alte Skelett eines Einarmigen, das Ausgräber des französischen Instituts für Archäologie Inrap in einem Steinbruch bei Buthiers-Boulancourt, rund 70 Kilometer südlich von Paris, gefunden haben. Noch zu Lebzeiten hatte ein Steinzeitdoktor vermutlich mit einem Flintsteinmesser den Oberarmknochen des Mannes durchgesägt. Der Eingriff dürfte eine Notoperation gewesen sein, denn der Knochen war teilweise beschädigt, als der Helfer sein Instrument ansetzte. Wie sich aus Veränderungen an der Schnittstelle ablesen lässt, entzündete sich die Wunde nicht und heilte gut – der Patient, so glauben die Archäologen, hat nach der Operation noch mehrere Monate, vielleicht auch Jahre weitergelebt. Die Größe des Grabs und kostbare Beigaben beweisen, dass es sich um einen Mann von Rang gehandelt haben muss.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 6/2010.