Mit dem Bau des ersten Wolkenkratzers der Welt haben die Bewohner von Jericho vor rund 10 000 Jahren offenbar ein Bollwerk gegen die Finsternis geschaffen. Sie errichteten einen über acht Meter hohen steinernen Turm – und zwar genau an jener Stelle, an der am Abend der Sommersonnenwende der Schatten des nahe gelegenen Karantal-Gipfels ihre Siedlung zu verdunkeln begann. Dass die Position des Turmes tatsächlich mit dem Schattenfall übereinstimmt, haben die beiden Archäologen Roy Liran und Ran Barkai von der Tel Aviv University in einer 3-D-Computersimulation nachgewiesen. Dieser Moment ist dramatisch, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt Antiquity; während der Schatten des Karantal die ersten Häuser der Siedlung in Dunkelheit tauchte, strahlte die Spitze des Bauwerks noch minutenlang im Sonnenlicht. Wir nehmen an, dass der Turm als Wächter gegen die Gefahren errichtet wurde, die im Zwielicht der letzten Strahlen der sterbneden Sonne lauern, schreiben die Forscher mit einem Anflug von Poesie. Unter den Fachgelehrten gilt der 1952 entdeckte neolithische Bau als eines der ältesten Steinmonumente in der Geschichte der Menschheit.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 09/2011.