Rotwein aus dem Brunnen

Zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten ziert wieder ein Weinbrunnen einen englischen Königspalast. Historiker haben ihn nach einem Gemälde aus der Zeit Heinrichs VIII. für Hampton Court Palace bei London rekonstruiert. In dem achteckigen Brunnen plätschern an Wochenenden und Feiertagen für eine Stunde Rotwein und gekühlter Weißwein aus der französischen Gascogne – an gewöhnlichen Werktagen allerdings nur Wasser. Das 4,30 Meter hohe Gebilde steht in einem Hof des Palastes; genau dort, wo Archäologen vor zwei Jahren tatsächlich die Basis eines ähnlichen Brunnens gefunden haben. Von Heinrich VIII. ist überliefert, dass er zeitweilig bis zu 15 000 Gallonen Wein in seinen Kellern gehortet hat. Gelegenheiten zum Saufgelage gab es zu seiner Zeit reichlich: Zur Krönung seiner zweiten Ehefrau Anne Boleyn im Jahr 1533 etwa floss in öffentlichen Brunnen Londons einen ganzen Tag lang Freiwein für alle Untertanen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 19/2010.

Geburtsstunde der Menschenkleidung

Unsere Vorfahren haben sich offenbar schon weit früher in Kleider gehüllt als bislang angenommen. Das hat ein Team um den US-Biologen Andrew Kitchen von der Pennsylvania State University herausgefunden – auf dem Umweg über die Tierwelt. Durch umfangreiche Erbgutanalysen ermittelten die Forscher, dass sich die Kleiderlaus vor rund 190000 Jahren im Stammbaum der Menschenläuse abspaltete. Ihre Entstehung, so die Forscher, wäre nicht möglich gewesen, wenn ihr der Urmensch zu dieser Zeit keinen geeigneten Lebensraum geboten hätte. Zwar verloren die Vorfahren des Homo sapiens schon vor mehr als einer Million Jahren ihre schützende Körperbehaarung. Viele Indizien sprachen allerdings bislang dafür, dass er erst viel später damit begann, seine nackte Haut mit Tierfellen oder pflanzlichen Geweben zu bedecken. Andere Forscher gingen bisher davon aus, dass diese Kulturwende erst vor rund 100000 Jahren stattgefunden haben könnte.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 18/2010.

Führen Paviane ins verschollene Goldland?

Mit Hilfe einer Analyse der Fellhaare zweier mumifizierter Paviane wollen Forscher der University of California Santa Cruz ein archäologisches Rätsel lösen: Wo lag einst das legendäre Goldland Punt? Die beiden Primaten starben vor rund 3000 Jahren im alten Ägypten. Doch der Nil war höchstwahrscheinlich nicht ihre Heimat. Paviane gehören zu jenen Schätzen, die Seefahrer von den sagenumwobenen Expeditionen ins Land Punt mitbrachten. Wo sich das verschollene Land befand, weiß heute niemand mehr. Mögliche Kandidaten sind der Jemen, Äthiopien, Eritrea oder Somalia. Nur die Inventarlisten der Schiffe, die von dort kamen, sind überliefert: Parfum, Pantherfelle, Elektrum – und lebende exotische Tiere. Eine Bestimmung der Sauerstoffisotope im Pavianfell könnte die Herkunft verraten. Denn in den Haaren lagerten sich jene Isotope ab, die die Tiere mit dem Trinkwasser ihrer Heimat aufnahmen; und die Isotopensignatur ist für jede Region dieser Erde einzigartig. Allerdings funktioniert der Trick nur, wenn die Paviane recht bald nach ihrer Ankunft am Nil starben; denn spätestens nach einem Jahr hat sich das Affenfell komplett erneuert.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 17/2010.

Frauen brauen

Bier ist Frauensache: Das hat die Getränkekundlerin Jane Peyton bei Recherchen für ihr Buch „The Book of Booze” herausgefunden. Schon in den Anfangszeiten der Braukunst, im fruchtbaren Halbmond Mesopotamiens, waren Herstellung und Ausschank des Getreidesaftes fest in Frauenhand. Die Sumerer verehrten sogar eine Gottheit namens Ninkasi: die Göttin des Bieres. Sachlicher ging es bei den Babyloniern zu, die bereits 20 verschiedene Biersorten kannten. In ihrem Gesetzestext, dem „Codex Hammurabi”, legten sie fest, wie mit Frauen umzuspringen sei, die Bier nicht korrekt ausschenkten: „Eine Wirtin, die sich ihr Bier nicht in Gerste, sondern in Silber bezahlen lässt oder die minderwertiges Bier ausschenkt, wird ertränkt.” Bei den Wikingern war die Rollenverteilung ebenfalls gesetzlich geregelt: Für die Zubereitung von Bier hatten die Frauen zu sorgen – kein anständiger Wikinger wäre auf die Idee gekommen, Getreide zu fermentieren. Die Finnen widmeten der Herstellung von Bier durch Frauenhand sogar eine Strophe ihres Nationalepos, des „Kalevala”: Nach diversen Versuchen mit Tannenzapfen und Bärenspucke gelingt es der Jungfrau Osmotar, Gerste, Hopfen und Wasser mit Hilfe von wildem Honig zum Gären zu bringen. Deutschlands wohl berühmteste Bierbrauerin ist Katharina von Bora, die Ehefrau Martin Luthers: Sie besserte die Haushaltskasse des Reformators mit ihrer Braukunst auf.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 15/2010.

Kastriert im Kaisergrab

Den meisten Terrakotta-Pferden im Grab des ersten Kaisers von China fehlen die Hoden. Diese erstaunliche Entdeckung machte der Archäologe Yuan Jing von der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften bei der systematischen Untersuchung der über 600 Pferde aus der Grabanlage des Qin Shihuangdi (259 bis 210 vor Christus) bei Xi’an. Alle 520 männlichen Pferde, die in Vierergruppen Streiwagen zogen, waren kastriert. Lediglich einige der Kavalleriepferde befanden sich noch im Vollbesitz ihrer Männlichkeit – die meisten waren jedoch Wallache. Stuten fehlten dagegen völlig. Vielleicht, so mutmaßt Yuan, sollten die Zugpferde durch diese Art der Darstellung als besonders gut abgerichtet erscheinen. Dass Nutztiere in China schon früh kastriert wurden, ist seit längerem bekannt: Berichte auf 3000 Jahre alten Muscheln und Knochen gaben Hinweise auf die Kastration von Schweinen. Jetzt hoffen die Archäologen, auch an den sterblichen Überresten von mehreren echten Pferden, die unlängst in der Nähe der Grabanlagen gefunden wurden, die jahrtausendealte Entmannungspraxis nachweisen zu können.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 11/2010.

Vergoldetes Leichenhaar

Metallspuren in Leichenhaaren galten Forensikern bisher als Indiz dafür, dass der Verstorbene entweder einem Giftmischer oder ungesunden Lebensumständen zum Opfer gefallen war. Jetzt hat eine Gruppe von Wissenschaftlern um den US-Neurologen Otto Appenzeller aus Alburquerque herausgefunden, dass auch ein ganz hermloser Faktor für eine hohe Metallkonzentration verantwortlich sein kann: metallausscheidende Bakterien. Um das zu beweisen, verwendeten die Forscher Cupriavidus metallidurans, eine Mikrobe mit der erstaunlichen Gabe, toxische Goldverbindungen in reines Gold umwandeln zu können. Für die Experimente opferte Appenzeller selbst ein paar Strähnen, welche die Forscher dann in der Erde einer stillgelegten australischen Goldmine vergruben. Beimpften sie den Boden zusätzlich mit Cupriavidus metallidurans, so stieg der Goldgehlat in den Haaren rasant an – die Bakterien klebten von außen Goldpartikel an die Haare. Was mit dem Edelmetall funktioniert, könnte auch für Arsen gelten – das bisher beispielsweise für den Tod von Napoleon herhalten musste. „Arsen ist in vielen Böden enthalten. Und es gibt über hundert verschiedene Bakterienstämme, die gegen dieses Metall resistent sind”, so Appenzeller. „Das schaffen sie nur, indem sie das Gift in ein Sekret packen und es wieder ausscheiden.”

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 10/2010.

Shakespeares Schatztruhe

Im Sarkophag des englischen Politikers und Poeten Fulke Greville wollen Ausgräber demnächst per Endoskop nach einer historischen Sensation fahnden: einem bisher unbekannten Stück von William Shakespeare. Das verschollene Werk trägt angeblich den Titel „Antonius und Kleopatra“. Eine Bodenradar-Untersuchung hat im vergangenen Jahr bereits ergeben, dass der Sarkophag drei mysteriöse Kisten enthält. Greville war ein hochgebildeter Zeitgenosse Shakespeares sowie ein Günstling der Königin Elizabeth I. – weshalb schon länger darüber spekuliert wird, dass er der wahre Autor von Shakespeares Stücken gewesen sein könnte; Shakespeare selbst, so der Verdacht, sei als Sohn eines einfachen Handschuhmachers gar nicht zu literarischen Großtaten in der Lage gewesen. Bereits in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte ein Vergleich der Werke Grevilles und Shakespeares verblüffende Ähnlichkeiten ergeben. In seinen Schriften deutete Greville zudem an, dass in seinem Grab auch eine unautorisierte Biografie von Elizabeth I. zu finden sein werde.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 8/2010.

Asiate im antiken Rom

Unter seinen römischen Mitmenschen dürfte der Unbekannte vor 2000 Jahren aufgefallen sein wie ein Außerirdischer: Auf einem Friedhof im italienischen Vagnari wurden Knochenreste eines männlichen Toten gefunden, der laut DNA-Tests ostasiatischer Abstammung war. Die Isotopenanalyse seiner Zähne ergab zudem, dass der Fremde nicht in der Region um Vagnari aufgewachsen sein kann. Schon im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus florierte zwar der Seidenhandel zwischen China und dem Römischen Reich. Doch die bescheidenen Grabbeigaben des Toten sprechen dagegen, dass er als wohlhabender Händler nach Italien gekommen war. Wahrscheinlich hatte der Asiate sein Leben als exotischer Sklave des Kaisers gefristet.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 7/2010.

Amputation mit dem Flintsteinmesser

Steinzeitheiler haben bei ihren Patienten nicht nur Schädel aufgebohrt, sondern auch Gliedmaßen amputiert. Das zeigt das 7000 Jahre alte Skelett eines Einarmigen, das Ausgräber des französischen Instituts für Archäologie Inrap in einem Steinbruch bei Buthiers-Boulancourt, rund 70 Kilometer südlich von Paris, gefunden haben. Noch zu Lebzeiten hatte ein Steinzeitdoktor vermutlich mit einem Flintsteinmesser den Oberarmknochen des Mannes durchgesägt. Der Eingriff dürfte eine Notoperation gewesen sein, denn der Knochen war teilweise beschädigt, als der Helfer sein Instrument ansetzte. Wie sich aus Veränderungen an der Schnittstelle ablesen lässt, entzündete sich die Wunde nicht und heilte gut – der Patient, so glauben die Archäologen, hat nach der Operation noch mehrere Monate, vielleicht auch Jahre weitergelebt. Die Größe des Grabs und kostbare Beigaben beweisen, dass es sich um einen Mann von Rang gehandelt haben muss.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 6/2010.

Unverwundbar im Leinenhemd

Alexander den Großen und seine Soldaten schützte auf dem Schlachtfeld ein besonderer Leinenpanzer, der Linothorax, den Historiker von der amerikanischen University of Wisconsin – Green Bay erstmals rekonstruiert haben. Sie verwendeten dazu Flachsfasern, die wie seinerzeit in der Antike von Hand geerntet, gesponnen und gewebt wurden. Da der Linothorax offenbar aus vielen verleimten Stoffschichten bestand, testete das Team auch zwei Klebstoffe, die es aus Materialien herstellte, wie sie in der Antike zur Verfügung standen: einen aus Flachssamen und einen, der aus der Haut von Kaninchen gewonnen wurde. Anschließend traktierten sie die Rüstungen mit allem, was antike Waffenkammern zu bieten hatten. Ergebnis: Der Makedonier und seine Mannen hatten in ihren Stoffhemden kaum eine Waffe zu fürchten – das verklebte Leinen wirkte ähnlich wie Kevlar, aus dem moderne schusssichere Westen hergestellt sind. Außerdem wog der Linothorax nur etwa ein Drittel eines Metallpanzers, gab Kämpfern mehr Bewegungsfreiheit, bestand aus leicht beschaffbarem Material und konnte in Massenproduktion billig hergestellt werden. Vor Kriegszügen in regenreiche Landstriche mussten die Rüstungen nur noch mit Bienenwachs, Pinienharz oder Wollwachs imprägniert werden.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 5/2010.