Unterirdische Heimstatt des Minotaurus

Hielt König Minos den gefährlichen Minotaurus gar nicht in seinem Palast in Knossos gefangen? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein griechisch-britisches Expeditionsteam unter der Leitung des Geografen Nicholas Howarth von der University of Oxford. Die Höhlenforscher untersuchten ein Tunnelsystem in einem alten Steinbruch nahe der kretischen Stadt Gortyn, gut 30 Kilometer von Knossos entfernt. „Wenn der Legende ein echtes Labyrinth zugrunde liegt, dann ist es dieses“, erklärt Howarth. Insgesamt zweieinhalb Kilometer lang, stoßen die Gänge hier in unregelmäßigen Winkeln aufeinander und enden vielerorts in Sackgassen. „Es ist stockdunkel da unten und so unübersichtlich, dass man sich sehr leicht verirren kann“, berichtet Howarth. Die heute geläufige Legende, dass der Minotaurus in den Gängen des Palastes von Knossos hauste, geht vornehmlich auf die Auslegung des britischen Archäologen Sir Arthur Evans zurück, der die Palastanlage zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ausgrub. Dabei kannten die Einheimischen die Höhlen von Gortyn schon lange vor Evans‘ Entdeckung – und gaben ihnen den Namen Labyrinthos. „Wir fanden Dutzende von uralten Fadenresten an den Wänden – als ob die Leute hier schon oft die Legende von Theseus nachgespielt hätten, der mit Hilfe eines Fadens seinen Weg durch das Labyrinth fand und schließlich den Minotaurus tötete“, sagt Howarth.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 44/2009.

Tödlicher Klotz am Bein

Es war ein gruseliges Fundstück, das die beiden Hobby-Archäologen Steve Brooker und Rick Jones kürzlich aus dem schwarzen Schlamm des Themse-Ufers zogen: eine Fußfessel mit einer acht Kilo schweren Eisenkugel daran. Vor rund 300 Jahren, so haben erste Analysen erbracht, umschloß der Eisenring das Bein eines Sträflings, als dieser vermutlich in den Fluten versank. Das Schloss jedenfalls ist immer noch fest eingerastet – ein Hinweis darauf, dass die Fessel auch tatsächlich angelegt war. Die Knochen des Unglücklichen sind lange vergangen. Kugel, Kette und Schloss aber hat der sauerstoffarme Themse-Schlamm konserviert – zumal das Gerät aus sehr hochwertigem Eisen gefertigt ist. Das Gewinde des Schlosses verrät, dass die Fessel nicht in England hergestellt wurde, sondern auf dem europäischen Kontinent – wahrscheinlich von einem deutschen Schmied. „Diese Fußfessel hielt keinen Sklaven”, konstatiert Kate Sumnall, Archäologin im Museum of London. Die Arbeit sei zu hochwertig, um einfach als Abfall in der Themse entsorgt worden zu sein. Alle Indizien deuten darauf hin, dass es ein bedeutender Gefangener war, der in der Themse einst sein nasses Grab fand.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 37/2009.

Butter aus dem Moor

Lange bevor es Kühlschränke gab, lagerten die Iren Butter im Moor. Zwei Arbeiter der irischen Torfbehörde haben unlängst einen Klumpen entdeckt, den Bauern dort vor rund 3000 Jahren versenkt haben müssen. John Fitzharris und Martin Lane staunten nicht schlecht, als sie in den feuchten Wiesen des Gilltown-Moores rund 40 Kilometer westlich von Dublin einen weißen Streifen im Boden fanden. Zutage kam ein knapp ein Meter hohes und 35 Kilogramm schweres Eichenholzfass mit Deckel – und randvoll mit einer weichen Masse, die sogar noch leicht nach Butter roch. Archäologen des National Museum of Ireland datierten den Fund in die Eisenzeit um etwa 1000 vor Christus. Damit ist es die älteste bekannte Moorbutter. Ob die Iren ihre Butter im Moor versenkten, um sie dort unter Luftabschluss zu konservieren, oder ob die Prozedur der Geschmacksveredelung diente, ist nicht bekannt. Als Brotaufstrich taugt sie allerdings nach 3000 Jahren nicht mehr: Die Masse hat sich in Adipocire verwandelt – jene Substanz, zu der auch das Fettgewebe von Wasserleichen wird.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 36/2009.

Unterstand für Heidis Vorfahren

Auf den Weiden des in der Ostschweiz gelegenen Fimbertals wächst das Gras besonders fett. Das wussten offenbar schon Heidis Vorfahren vor 2500 Jahren – und bauten auf 2300 Metern Höhe eine Hütte, um dort mit ihrem Vieh den Sommer auf der Alp verbringen zu können. Der Zürcher Archäologe Thomas Reitmaier hat die Überreste der ältesten bekannten Schweizer Berghütte entdeckt. Dabei fand er auch, dass das Fimbertal bereits seit der Steinzeit ein beliebter Weideort war: Hier saßen Hirten wohl schon in der ersten Hälfte des 5. Jahrtausends vor Christus um eine Feuerstelle – als die Menschen im Alpenraum gerade eben erst das Jagen und Sammeln aufgegeben und die Landwirtschaft für sich entdeckt hatten. Durch die steinernen Fundamente der 2500 Jahre alten Hütte ist nun erstmals der archäologische Nachweis gelungen, dass Bauern nicht nur bei gutem Wetter, sondern auch den ganzen Sommer über mit ihrem Vieh auf der Alp lebten. Die Behausung bot vier bis sechs Leuten Schutz, wahrscheinlich auch bei gelegentlichen Schneestürmen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 34/2009.

Topfpflanze XXL

Erforderlich waren drei Monate Planung, ein tonnenschwerer Kran und zehn flinke Gärtnerhände, um diese eine Pflanze umzutopfen: den Brotpalmfarn (Encephalartos altensteinii) in den Königlichen Botanischen Gärten in London. Das Prachtexemplar wächst bereits seit 1775 in den Kew Gardens. Der Brotpalmfarn war eine der ersten Pflanzen der damals neu gegründeten Anlage. Seinen Samen brachte der Botaniker Francis Masson von der zweiten Südseereise des Entdeckers James Cook mit. Wahrscheinlich stammt der Keimling aus der östlichen Kapregion Südafrikas. Mit einer Wachstumsgeschwindigkeit von 2,5 Zentimetern pro Jahr hat es die Uralt-Topfpflanze auf eine stattliche Höhe von 4,40 Metern gebracht. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Bei guter Pflege können Palmfarne 500 Jahre alt werden. So lange wird denn auch der neue maßgeschneiderte Topf aus edlem Mahagoniholz nicht reichen – erst Anfang der achtziger Jahre war das Gewächs zuletzt umgetopft worden.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 33/2009.

Armer Ritter

Der Alltag war hart für die Edelmänner im 14. Jahrhundert. Das belegt eindrucksvoll der Fund eines Ritters, der unter dem Fußboden einer Kapelle im schottischen Stirling Castle bestattet worden war. Archäologen entdeckten dort die Gebeine eines Mannes, der zu Lebzeiten offenbar viel Prügel einstecken musste. Wahrscheinlich starb der etwa 25-Jährige an den Folgen eines Schwerthiebs über Nase und Kinn, der ihn liegend getroffen hatte. In seiner Brust steckte überdies eine große Pfeilspitze, die den Geschundenen schon geraume Zeit vor seinem Tod getroffen hatte. Auf dem Schädel des Ritters fanden die Archäologen zudem eine Delle, wahrscheinlich von einem Hieb mit dem Schwertknauf oder einer Axt. Auch hier hatte der Körper längst mit der Reparatur des beschädigten Knochengewebes begonnen, bevor der finale Schwerthieb den Mann dahinraffte.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 33/2009.

Wurmspuren in der Wikingerkarte

Ist die berühmte Vinland-Karte, auf der ein unbekannter Kartograf angeblich bereits um 1440 westlich von Grönland eine große Landmasse („Vinland“) einzeichnete, eine Fälschung? Oder dokumentiert sie tatsächlich die Reisen der Wikinger, die lange vor Christoph Columbus nach Amerika gelangten? Offenbar kann der langjährige Forscherstreit nun als entschieden gelten: „Wir haben nach fünf Jahren intensiver Studien keine Hinweise dafür gefunden, dass die Vinland-Karte gefälscht ist“, resümiert René Larsen, Rektor der Konservatorenschule an der Royal Danish Academy of Fine Arts. Vor allem die Tinte galt bislang als Argument für eine Fälschung, denn es ist keine in jener Zeit üblicherweise verwendete Eisengallustinte, sondern eine Flüssigkeit auf Kohlenstoffbasis. Trotzdem enthält sie Partikel von Anatas, einem seltenen Mineral, das sich in Eisengallustinte bilden kann, nicht aber in kohlenstoffbasierter Tinte. Das Anatas, so Larsen, komme aus dem Sand, der zum Trocknen darüber gestreut wurde. Und die Wurmlöcher im Pergament der Karte stimmten mit denen im Deckel jenes Buches überein, in das sie eingebunden war.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 32/2009.

Neandertaler nähten sich Schlafanzüge

Die Neandertaler waren womöglich weit besser bekleidet als nur mit locker um die Hüften geschwungenen Lendenschurzen. Der Steinzeitmensch – der etwa 1,65 Meter groß wurde und um die 80 Kilo wog – habe sich mit einer hauteng genähten Schutzhülle aus Tierhaut vor den tiefen Temperaturen des nordeuropäischen Winters schützen müssen, behauptet der dänische Physiker Bent Sørensen in der aktuellen Ausgabe des „Journal of Archaeological Science“. Eine Körperoberfläche von 1,87 Quadratmetern erfordere nackt Temperaturen von 27 Grad Celsius, um im Schlaf keinen bedrohlichen Energieverlust zu erleiden, rechnet Sørensen vor. Doch selbst zur wärmsten Zeit im Juli ist die Temperatur nachts auf knapp über 17 Grad abgesunken. Funde von Neandertaler-Mode in der Nähe von Stuttgart stützen seine These.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 28/2009.

Wikinger blieben doch länger in Amerika

Sie kamen, trafen auf den erbitterten Widerstand der indianischen Ureinwohner – und verzogen sich bald wieder. So jedenfalls ging die bisherige Version von der Stippvisite der Wikinger in Nordamerika um das Jahr 1000 nach Christus. Nun aber hat die Archäologin Pat Sutherland vom Canadian Museum of Civilization eine Reihe von Beweisen zusammengetragen, nach denen die nur kurz bewohnte Siedlung von Leif Eriksson und seinen 35 Gefolgsleuten im neufundländischen L’Anse aux Meadows nicht der einzige Ort in Kanada war, wo die Nordländer sich niederließen. Etwa 1500 Kilometer nordwestlich des bekannten Dorfs entdeckte Sutherland auf der Baffininsel nahe Nanook längere Zeit bewohnte Behausungen aus Stein. Diese Bauweise kannten die dort um die Jahrtausendwende lebenden Ur-Amerikaner nicht – wohl aber die Seefahrer aus dem fernen Island. Gleiches gilt für ein steingefasstes Entwässerungssystem, auf das Sutherland dort gestoßen ist. Auch Holzverzierungen mit typischen Mustern sprechen dafür, dass die Nordmänner es wohl doch länger in der Neuen Welt ausgehalten haben als gedacht.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 25/2009.

Beweisstück gegen den Schöpfungsglauben

Britische Forscher haben in den Magazinen des Natural History Museum in London einen rund 400 000 Jahre alten Faustkeil wiederentdeckt, der seit 150 Jahren verschollen war. Das von Menschenhand hergestellte Werkzeug hatten englische Gelehrte im 19. Jahrhundert in einem Steinbruch nahe der nordfranzösischen Stadt Amiens inmitten von Mammut- und Wollnashornknochen gefunden. Das Artefakt hatte seinerzeit das Weltbild der Biebelgläubigen erschüttert, die nach den Lehren des im 17. Jahrhundert lebenden Erzbischofs Ussher glaubten, Gott habe die Menschen im Oktober 4004 vor Christus geschaffen. Nur kurze Zeit nach seiner Entdeckung war „der Stein, der die Zeitbarriere durchbrach“, wie es ein prominenter Archäologe formulierte, spurlos verschwunden. Erst jetzt haben der Geograf Clive Gamble und der Paläontologe Robert Kruszynski das berühmte Beweisstück unter Tausenden prähistorischen Werkzeugen in den Archiven zum zweiten Mal ausfindig gemacht. Auf dem behauenen Flint mit der Inventarnummer E 5109 klebte ein kleines weißes Schildchen aus viktorianischer Zeit mit dem Vermerk: „St Acheul, Amiens. 1 Fuß unter der Oberfläche, April 27 – 59” – der Faustkeil ist damit genau auf jenes „annus mirabilis 1859” datiert, in dem auch der Naturforscher Charles Darwin mit seiner Abhandlung über die „Entstehung der Arten ” den Glauben an die göttliche Schöpfung ins Wanken brachte.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 24/2009.