Übersehener Schatz

Jean-Baptiste Croizet ahnte nicht, was er da in den Händen hielt. Zwischen 1830 und 1842 hatte der französische Pfarrer in der Auvergne einen Geweihknochen entdeckt, in den das Abbild eines Pferdes geritzt war. Wie sich nun zeigt, handelte es sich womöglich um den ersten Fund eines steinzeitlichen Kunstgegenstandes. Erst jetzt wurde eine wissenschaftliche Auswertung des 14000 Jahre alten Stückes veröffentlicht. Zu Croizets Zeiten war die Forschung nicht so weit, die Bedeutung des Knochen erkennen zu können: Alte, verzierte Gegenstände wurden generell als „keltisch“ klassifiziert. Mehr oder weniger unbeachtet überdauerte das Geweihstück in Vitrinen und Regalen des Natural History Museum in London, bis es 1989 wiederentdeckt und in den Jahren 2010 und 2011 näher untersucht wurde. Eine Micro-Computertomografie und eine Untersuchung im 3-D-Mikroskop brachten Details über die Arbeitsweise des altsteinzeitlichen Künstlers zutage. Die Geschichte des Geweihstücks ist nun in der britischen Zeitschrift „Antiquity“ erschienen, die Ergebnisse der Untersuchungen werden in der Mai-Ausgabe des „Journal of Archaeological Science“ publiziert.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 14/2013.

Gewalt gegen Steinzeitfrauen

Blutige Fehden gehörten bei den Steinzeitbauern zum Alltag. Doch anders als bisher angenommen, fielen den oft tödlich endenden Auseinandersetzungen nicht nur die kämpfenden Männer zum Opfer. Bei der Untersuchung von 378 prähistorischen Schädeln aus Dänemark und Schweden hat ein Team um die Archäologin Linda Fibiger von der University of Edinburgh festgestellt, dass sich Frauen ebenso häufig unter den Gemeuchelten befanden wie Männer: „Das Risiko, eine tödliche Kopfverletzung zu erleiden, war für beide Geschlechter gleich hoch”, berichtet Fibiger in der neuen Ausgabe des „American Journal of Physical Anthropology”. Insgesamt fanden die Wissenschaftler bei knapp 17 Prozent der Schädel aus Dänemark und bei über 9 Prozent der Schädel aus Schweden Spuren von schwerer äußerer Gewalteinwirkung. Warum dabei so viele Frauen zu Tode kamen, ist noch ungeklärt. Eine Vermutung der Experten: Wenn die Frauen bei plötzlichen Überfällen versuchten, ihre Kinder zu schützen, konnten sie sich „womöglich nicht mehr richtig selbst verteidigen”, spekuliert Fibiger gegenüber dem US-Wissenschaftsportal „LiveScience”.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 08/2013.

Gemmen im Gully

Welche Frau kennt das nicht: Beim Baden im Pool löst sich plötzlich der Ohrring und verschwindet in den Tiefen. Das ging offenbar schon den Schönen in der römischen Antike so. Die Archäologie-Doktorandin Alissa Whitmore von der University of Iowa hat jetzt analysiert, was in römischen Bädern so alles im Gully verschwand. Dazu untersuchte sie die Fundsachen aus Abflüssen ziviler und militärischer Thermen in Italien, Portugal, der Schweiz, Deutschland und Großbritannien aus dem 1. bis 4. Jahrhundert nach Christus. Zu den Trouvaillen zählten einerseits Parfümfläschchen, Fingernagelauskratzer und Pinzetten. Andererseits scheinen auch chirurgische Eingriffe in den Bädern stattgefunden zu haben, denn Whitmore fand auch ein Skalpell und mehrere Zähne. Würfel aus den Abflüssen erzählen, dass in manchen Thermen dem Glücksspiel gefrönt wurde. Andere Badebesucher brachten offenbar auch Handarbeiten mit, worauf Nadeln und Bruchstücke von Spindeln hindeuten. Nicht zuletzt förderte die Forscherin große Mengen Schmuck zutage: von antiken Haarnadeln, Perlen und Broschen bis hin zu Anhängern und wertvollen Gemmen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 04/2013.

Zäune-Boom in der Eisenzeit

Die Geschichte des Gartenzauns begann etwa 1500 v. Chr. – auf den britischen Inseln. „Damals fingen die Menschen an, ihre Felder abzugrenzen”, berichtet die dänische Forscherin Mette Løvschal von der Universität Aarhus im Interview mit der Wissenschaftsplattform ScienceNordic. Für ihre Untersuchungen wertete Løvschal Grabungsberichte, Luftaufnahmen und Oberflächenuntersuchungen aus. Ab etwa 1000 v. Chr., so das Ergebnis, sei der Brauch der Feldabgrenzung in Nordeuropa und im Baltikum zu beobachten. In der Eisenzeit, ab 500 v. Chr., zäunten die Menschen denn auch Häuser und Dörfer ein. „In den kommenden Jahrhunderten gab es einen regelrechten Zäune-Boom”, sagt Løvschal. Von nun an habe es Abgrenzungen aller erdenklichen Arten gegeben: Pfostenreihen, Flechtzäune, Palisaden, Wälle und Gräben. Ab 300 v. Chr. wurden die Zäune zum Machtsymbol – je reicher ein Anwesen, desto aufwendiger die Grenzmarkierung.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 03/2013.

Rätsel um Briten-Vampir

Hat die Angst vor Untoten schon die frühmittelalterlichen Briten umgetrieben? Zu dieser Ansicht neigt offenbar der Archäologe Matthew Beresford, der einem 1959 in der Ortschaft Southwell in Nottinghamshire entdecken Skelett einen ausführlichen Bericht gewidmet hat. Danach waren dem aus dem sechsten oder siebenten Jahrhundert stammenden Opfer lange Eisennägel durch Schultern, Herz und Knöchel getrieben worden – für den Forscher ein Zeichen, dass es sich bei dem Bestatteten um einen „gefährlichen Toten” gehandelt hatte, der am Verlassen des Grabes gehindert werden sollte. Die Furcht vor der Wiederkehr von Toten war zur damaligen Zeit nicht ungewöhnlich: Auch hingerichtete Diebe, Mörder oder sogar Ehebrecher seien mitunter im Grab fixiert, mit dem Gesicht nach unten begraben oder in sumpfigem Boden bestattet worden. Über das Rätsel des „Southwell-Vampirs” wird sich somit weiter trefflich streiten lassen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 01/2013.

Bier aus der Badegrube

In den schottischen Highlands haben Archäologen ein Steinbecken für warmes Wasser gefunden. Die Bronzezeitlichen Bewohner könnten es nach Ansicht der Forscher als Bad oder Sauna benutzt haben – oder auch zum Brauen von Bier. Die 1,5 mal 1,5 Meter große Grube war mit Steinplatten ausgelegt und über einen Kanal mit einem Fluss verbunden. Eine an diesem Kanal gelegene Feuerstelle sorgte offebar dafür, dass das Wasser erhitzt wurde, bevor es in das Becken floss. „Wir haben keine Tierknochen oder Essensreste gefunden, die darauf hätten schließen lassen, dass es sich um eine Kochstelle handelte”, sagte Ausgräber Gordon Sleight gegenüber BBC News. Ähnliche Becken sind auch aus Irland, England und Wales bekannt. Die frühesten stammen aus der Jungsteinzeit, die spätesten wurden noch im Mittelalter angelegt. Möglich wäre auch, dass die prähistorischen Pools je nach Bedarf abwechselnd genutzt wurden – zum Baden und zum Brauen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 44/2012.

Geburtstagsspektakel für den Feldherrn

Wurde die Hauptstraße Alexandrias auf den Punkt am Horizont ausgerichtet, an dem am Geburtstag des Stadtgründers, Alexanders des Großen, die Sonne aufgeht? Zumindest die Archäoastronomen Luisa Ferro und Giulio Magli sind davon überzeugt, wie sie in der jüngsten Ausgabe des „Oxford Journal of Archaeology” schreiben. Auch Regulus, der Königsstern im Sternbild Löwe, schob sich ihren Berechnungen zufolge rund um den 20. Juli, den Geburtstag des Makedonenherrschers, in der Verlängerung der Straße über den Horizont. Schon lange hatten Experten sich gewundert, warum das Straßenraster der wie auf dem Reißbrett entworfenen Stadt nicht der Küstenlinie folgt, sondern merkwürdig schräg in der Landschaft liegt. Mit den astronomischen Rekonstruktionen der italienischen Forscher könnte dieses Rätsel jetzt gelöst sein.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 43/2012.

Pyramide im Keller

Unter einem Weinkeller in der italienischen Stadt Orvieto sind Ausgräber auf einearchäologische Sensation gestoßen: Das Gewölbe liegt an der Spitze einer riesigen, mehr als 2400 Jahre alten Kammer. Ein Treppenschacht in dem Keller hatte David George vom Saint Anselm College im US-Bundesstaat New Hampshire stutzig gemacht. Das Schacht war in etruskischer Konstruktionsweise gebaut. Die Etrusker lebten ab etwa 800 v. Chr. in Mittelitalien, bevor die Römer sich dort breitmachten. Unter dem modernen Fußboden und einem weiteren Boden aus dem Mittelalter entdeckte George zusammen mit dem lokalen Experten Claudio Bizzarri vom Parco Archeologico Ambientale dell’Orvietano eine Füllschicht mit etruskischer Keramik. Die Wände weiteten sich mit zunehmender Tiefe: Die unterirdische Kammer hat die Form einer Pyramide. Außerdem entdeckten die Archäologen Gänge, die zu weiteren pyramidenförmigen Kammern Führen. Noch rätseln die Forscher über ihren Fund: „Die Wände sind zu sorgfältig bearbeitet, als dass es ein Steinbruch gewesen sein könnte”, sagt George. „Und es gibt keinen Hinweis auf Schlammablagerungen, wie sie für eine Zisterne typisch wären.” Damit, meint er, blieben nur zwei Möglichkeiten: „Ein religiöses Bauwerk – oder ein Grab.”

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 41/2012.

Verbrüderung am Tresen

Im Osten Schottlands haben Archäologen einen antiken Pub entdeckt, in dem Römer und Einheimische offenbar gemeinsam zechten. Die Uralt-Kneipe befand sich in der Nähe der römischen Befestigungsanlage Stracathro, die um 70 nach Christus zur Grenzlinie gegen die Stämme des Nordens gehörte. Neben der Militärsiedlung sind Ausgräber der University of Liverpool jetzt auf ein Dorf der Kaledonier gestoßen. Bislang galt es als unwahrscheinlich, dass diese Zivilisten im hohen Norden Tür an Tür mit römischen Legionären lebten. Doch zum Kaledonier-Dorf gehörte offenbar auch ein Pub mit dem für römische Tavernen typischen Grundriss: einem rechteckigen Hauptraum, der sich nach vorn zu einer gepflasterten Terrasse – einer Art Biergarten – öffnete. „Der Fund zeigt, dass Römer und Einheimische besser miteinander auskamen, als wir vermutet haben”, sagte die Co-Direktorin des Ausgrabungsprojekts Birgitta Hoffmann der Tageszeitung „The Scotsman”.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 38/2012.

Hirschgeweih im Steinzeithaus

Schon Steinzeitjäger haben ihre Behausungen mit Trophäen verziert. Das zeigen Ausgrabungen im ostkroatischen Bapska, bei denen Archäologen das 6500 Jahre alte Geweih eines Zwölfenders in einem Wohnbereich gefunden haben. Bisher wurden Hirschgeweihe nur in Abfallgruben entdeckt, nie aber als Dekorationsobjekte in Häusern. Der Hirsch, von dem die Trophäe stammt, könnte zu Lebzeiten bis zu 250 Kilogramm gewogen haben. „Ein solches Exemplar nur mit Steinwerkzeugen zu erlegen erforderte Geschick – immerhin handelte es sich um sehr schnelle Tiere”, berichtet Ausgräber Marcel Burić von der Universität Zagreb. Die Jagdtrophäe lag in einer Wohnstätte, in der die Archäologen auch schon andere Luxusgüter wie Obsidianklingen, Schmuck aus Muschelschalen sowie Hämatitbrocken geborgen hatten.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 33/2012.