Das Palestinensertuch

Es roch immer ein wenig nach Abenteuer. Unter dem Duft von kaltem Zigarettenrauch und den letzten Spuren von Waschmittel lag noch dieser feine, unwiderstehliche Hauch verwegener Freiheit. Das Palästinensertuch umzuwickeln war ein Ritual: Die Zipfel vorn am Hals feststecken und wissen, es kann losgehen.

Das Palästinensertuch war in den 70er und 80er Jahren nicht einfach ein Kleidungsstück. Es war Erkennungsmarke unter Gleichgesinnten und Affront für Andersdenkende, Einheitstracht der Friedensbewegung und Symbol für zivilen Ungehorsam. Doch wie kam eine Kopfbedeckung, die in der westlichen Zivilisation so fremd ist wie ein Indischer Elefant auf dem Kirchplatz von Königs Wusterhausen, an die Hälse der deutschen Jugend? Weiterlesen

Anschlag auf Olympia

Am Abend des 4. September 1972 — die Dunkelheit war schon hereingebrochen — schraubte sich ein dürres Mädchen über eine 1,92 m hohe Latte und riss im Siegestaumel die Arme nach oben: Sie hatte soeben den Weltrekord im Hochsprung eingestellt und olympisches Gold geholt. Ulrike Meyfahrt war an jenem Tag 16 Jahre alt. Während sie sprang, trafen acht nur wenig ältere Männer — Mitglieder der palästinensischen Organisation „Schwarzer September“ — die letzten Vorbereitungen für den nächsten Morgen, an dem sie in das olympische Dorf eindringen, zwei israelische Sportler ermorden und neun weitere als Geiseln nehmen würden. Weiterlesen

Hollywood am Nil

Als Sami Al-Salamuni, ein bekannter Filmkritiker der arabischen Welt, noch ein kleiner Junge war, in den 50er Jahren, ging er am ägyptischen Wochenende, also donnerstagabends oder freitagnachmittags, regelmäßig ins Kino. Sein Vater hatte die Karten vorbestellt und eilte stolz der Familie voraus. Samis Schwestern waren herausgeputzt mit Schleifen und Lackschuhen, die Mutter im eleganten Kostüm und Sami in seinem ersten Anzug. Während der Vorstellung lachte Sami über die vielen Gags, seine Schwestern weinten bei den Liebesszenen, und der ganze Saal sang die Lieder von Umm Kulthum, Mohammed Abdel Wahab und Abdelhalim Hafez mit. Das Kino war für viele Familien ein fester Bestandteil des Lebens. Es einte die arabischen Länder, beeinflusste das arabische Denken und diente zur Bildung und politisierung der Bevölkerung. Das ägyptische Kino habe die arabische Persönlickeit des 20. Jahrhunderts mitgeformt, meint der Filmkritiker Ibrahim Al-Aris. Es setzte sich für die Ausbildung der Jugend — insbesondere auch der Mädchen — und die Akzeptanz der Frauen ein. Weiterlesen

Romantischer Kriegsheld

Seine Freunde nannten ihn „die erstaunlichste Erscheinung unter den erstaunlichen Erscheinungen dieser Welt“. Seine Kritiker „einen genialen Dilettanten, der wahrscheinlich selber nicht gewusst hat, was er wollte“. Er selbst sagte über sich nur: „Ich bin ein ziemlich komplizierter Mensch“.

Lawrence von Arabien war der uneheliche Sohn eines britischen Adligen, der es zum ungekrönten König von Arabien brachte; ein Archäologe, der zum Anführer des arabischen Aufstandes wurde; ein Kriegsheld schließlich, der wieder einfacher Soldat sein wollte, um dem Mythos um seine eignene Person zu entfliehen. Er war von allem ein wenig und darum nie eines ganz. Weiterlesen

Dragonflies

I deeply enjoy the spare moments alone, without using them to come to a conclusion. I come home from long hot bike rides with the satisfaction of a happily spent hour, because I was completely alone with myself. My route takes me along the old road to the neighboring village, Neuenfelde (New fields), a road long forgotten since the new one was built, where the sun catches in the wheels and the summer air is thick and hot, and where shadows from the past do not mind the light. It ends at the dike in Neuenfelde and turns into a small path, overgrown and bumpy. But up there, on the crown of the dike, with its height of about four meters, you can see so far over the flat land, which spreads out in the late-afternoon light, that my heart fills with love for this country, which is so low, so flat, so even, that no one who was not born here can bear the weight of the sky above. Weiterlesen

Upcoming Thunderstorm

As I leave the house, I wonder if upon my return I will still be dry. The sky has taken on the color of lead, even though the heat of the day still lingers heavily and undisturbed by any ever so small breeze. You can not even smell the thunderstorm yet through its thickness. Only the color of the last daylight is somehow wrong and speaks of the upcoming changes. Now, upon the end of the day, the country releases the smells it has captured during the sun filled afternoon, melted asphalt and mowed grass mix to a summer’s day cocktail. Weiterlesen

Oxford

I have come home. Finally, after all those years, I have come to a place where I – unfitting as I am – do fit in perfectly well, as if a spot for me had been reserved to snuggle into and be part of the unity a certain place and a certain time can build up in rare instants of harmony. Weiterlesen

Der Lumpenmann

Donnerstag ist immer ein schöner Tag. Denn Donnerstag ist Markt. Jeden Donnerstag zelebrieren meine Kollegin Maria und ich unser kleines Marktritual. Maria ist eine bildschöne 50-jährige mit flammenden roten Haaren, die einen ähnlichen Sinn für die Schönheit im Detail hat wie ich. Wir können uns staunend freuen über die Berge von weichflaumigen Pfirsichen, über den Duft der Erdbeeren im Juli oder die Tatsache, daß die Weihnachtsfarben rot und grün so unweihnachtlich aussehen können, wenn die ersten Vierländer Tomaten neben den üppigen Basilikumtöpfen leuchten. Manchmal ist es Maria ein wenig peinlich, mit mir über den Markt zu gehen, wie neulich, als ich die Frau mit dem Irischen Setter beim Käsemann beschuldigte, sie würde diesen aufs perverseste klebenden norwegischen Karamelkäse doch bestimmt nur kaufen, um ihn an ihren Hund zu verfüttern – aber das ist eine andere Geschichte. Weiterlesen