Donnerstag ist immer ein schöner Tag. Denn Donnerstag ist Markt. Jeden Donnerstag zelebrieren meine Kollegin Maria und ich unser kleines Marktritual. Maria ist eine bildschöne 50-jährige mit flammenden roten Haaren, die einen ähnlichen Sinn für die Schönheit im Detail hat wie ich. Wir können uns staunend freuen über die Berge von weichflaumigen Pfirsichen, über den Duft der Erdbeeren im Juli oder die Tatsache, daß die Weihnachtsfarben rot und grün so unweihnachtlich aussehen können, wenn die ersten Vierländer Tomaten neben den üppigen Basilikumtöpfen leuchten. Manchmal ist es Maria ein wenig peinlich, mit mir über den Markt zu gehen, wie neulich, als ich die Frau mit dem Irischen Setter beim Käsemann beschuldigte, sie würde diesen aufs perverseste klebenden norwegischen Karamelkäse doch bestimmt nur kaufen, um ihn an ihren Hund zu verfüttern – aber das ist eine andere Geschichte.
Unser Ritual beginnt beim Stofftiermann, an dessen Stand wir den Teddy der Woche wählen, meistens schwankend zwischen dem alten Opabär und den plüschohrigen Jungspunden. Der Stofftiermann kommentiert unsere Kür durch die Mäuler seiner schier unendlichen Kollektion von Handpuppen, und die Kinder, die sich bald um uns scharren, sind noch lange nachdem Maria und ich weitergezogen sind damit beschäftigt, die Katze der Woche und den Frosch der Woche zu wählen.
Nachdem wir uns durch die Blumenstände gerochen haben, die Nasen erschöpft von den Nuancen sämtlicher Duftrosenarten, landen wir meist noch beim Käsemann, einem Meister des skurrilen Humors, wo wir je nach Wochenstimmung entweder vor Lachen nach Luft schnappen müssen oder Maria empört den Käse liegen lässt und den Käsemann irgendwohin wünscht, wo garantiert keine Rose blühen.
Aber jeder dritte Donnerstag im Monat ist ein ganz besonderer Donnerstag. Denn an jedem dritten Donnerstag im Monat ist der Lumpenmann da. Der Lumpenmann ist auch ein Käsemann – wenn auch kein gewöhnlicher. Er hat seinen Namen von der Geschichte, die er uns einst erzählte, und die Maria und ich in mühsamer Detailarbeit rekonstruierten aus den verschiedenen Teilen, die wir aus den uns verständlichen Fragmenten seines Allgäuer Dialektes zusammenklauben konnten. Als er den Käsehof übernahm wurde dieser erstmal modernisiert. Aber für Jahre war der Käse so schlecht, daß er nur noch zum einschmelzen taugte. So holte er schließlich den Rat eines weißhaarigen Almöhi, der nur verächtlich gegen den neuen Aluminiumtank spuckte und zwischen seinen Zahnstummeln grummelte: Zu neu! Also, erzählte der Lumpenmann, holten sie die alten Holzlumpen wieder hervor und seitdem schmeckt der Käse. Schmecken? Nachdem man einmal von diesem Käse gekostet hat, schmeckt selbst der feinste Andalusische Manchego nur noch nach geronnener Milch.
Aber zurück zum Lumpenmann. Da steht er dann also, in seinen kurzen Lederhosen, aus denen heraus die langen, braungebrannten, sehnigen Beine dem Hamburger Regen trotzen, die Füße in selbstgebauten Holzpantinen, an deren Oberleder sich noch die letzten Büschel nicht weggegerbtes Kuhfell kringeln. Die blonden Locken bis auf die Schultern fallend degradiert er den Almette-Frischkäsemann aus der Werbung zur Lächerlichkeit. Vielleicht liegt es nur an seinem Käse, viel vielleichter jedoch liegt es an diesem breiten Grinsen in seinem Gesicht, daß sein Stand immer von Trauben von Frauen aller Altersklassen umlagert ist, die sich auf ihre Mittagspause auf dem Markt mit der gleichen Feuchtigkeit zwischen den Beinen freuen wie die Bürotipsen aus der Cola-Light-Werbung auf den Fensterputzer. Auf seine Art ist er, der direkt aus den grünen Almen des Allgäus im Hamburger Nebel auftaucht, exotischer als der kugelfischäugige Türke am Olivenstand.
Und jeder dritte Donnerstag im Monat, an dem die Sonne scheint, grenzt schon fast an einem Feiertag. Denn dann fangen sich die Sonnenstrahlen in den blauen Augen des Lumpenmannes und dann könnte der Käse auch nach Fisch schmecken, es wäre egal. Wir haben uns schon gefragt, der Lumpenmann und ich, ob wir verwandt seien. Als sich eines dritten Donnerstags im Monat, an dem die Sonne schien, unsere Augen trafen. Er sagte, meine Augen seien gefährlich. Da schlug Diamant auf Diamant und für einen Augenblick wurde es ganz still auf dem Markt, da waren nur noch die Schreie der Möwen in meinen sturmblauen Augen und der feine Duft der Alpenrosen durch die klare Bergluft in seinen. Wir können nicht verwandt sein, denn in meinen tobt die Nordsee und in seinen leuchtet das klare Blau eines Bergsees.
Der Lumpenmann ist ein Kleinod, das jeden dritten Donnerstag im Monat am Wegesrand liegt und das Leben so schätzenswert macht, weil blaue Augen schön sind und Käse so wunderbar schmecken kann und machmal die Zeit stehen bleibt und der Markt ganz still wird. Deshalb diese vielen Worte.