The German Breakfast Club

Wir treffen uns jeden Morgen, im Rittersaal, kurz nach acht. Und ich muß zugeben, daß unser kleiner German Breakfast Club eines der vielen Dinge in Oxford ist, die mich, egal wieviel Restalkohol ich noch im Blut hab‘, freudig jeden Morgen aufstehen lassen.

Wir sind eine richtige kleine Familie mit verteilten Rollen: Papi, Mami und Kind. Uns fehlt ein bißchen der Hund, aber ich glaube nicht, daß Hunde in unserem Rittersaal zugelassen sind – sollte ich gegeteiliges erfahren, werde ich eines morgens den kleinen Terrier des Rektors ausleihen.

Christian ist unser Kind. Ein 19-jähriger Mathestudent, der vom Leben außerhalb der Klostermauern Oxfords ungefähr so viel Ahnung hat wie eine Laborratte von der Kanalisation Londons. Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren, daß Christian in mir Mutterkomplexe auslöst, wenn er versucht, sein Toast zu essen und es dabei regelmäßig schafft, den Honig gleichmäßig über seine Finger, sein Sweatshirt und seinen drei-Tage-Milchflaumbart, sowie in abnehmender Dichte über alles im drei-Meter-Umkreis zu verschmieren. Ich habe lange seine Technik dabei beobachtet: Es ist eigentlich ganz einfach, denn er wedelt beim Erzählen seiner an sich langatmigen Geschichten mit seinen weißen Kinderfingern wie ein Seehund mit den Flossen, und dabei fliegen kleine Tröpfchen von Honig und geschmolzener Butter zu allen Seiten in Richtung auf die beschriebenen Ziele. Christians Geschichten sind ungefähr so interessant, als würde Hajo Kintzel vom Gemüsegarten seiner Großmutter erzählen, meist dreht es sich um das Leben und sterben in Kroischenbroich, der 250-Seelen-Gemeinde, in der unser Baby aufgewachsen ist. Aber manchmal, manchmal wird der Kleine zum Mann, und dann werden meine auf den Honigflecken ruhenden Augen feucht vor Rührung.

Christians Resümée zu den Frauen ist: Ich habe es fünfzehn mal versucht und fünfzehn Körbe bekommen – ich weiß nicht, woran ich noch glauben soll! Seit jenem Ausspruch habe ich mir vorgenommen, nach und nach alle seine Frauengeschichten aus ihm herauszukitzeln und zu sammeln, sie sind es wert… An dieser Stelle soll ein Beispiel genügen: Da war diese Cellistin aus seiner Schule, die in sieben verschiedenen Orchestern spielte. Daraufhin fing Christian an, jeden Tag stundenlang Posaune zu üben (bis seine Mutter, die ihn sonst zum Üben prügeln musste, sich ernsthafte Sorgen um seinen Geisteszustand machte). Und tatsächlich schaffte er es nach einem halben Jahr, in sechs der sieben Orchester seiner Anbegeteten aufgenommen zu werden. Das nenne ich Einsatz! So etwas hat noch nie ein Mann für MICH getan, aber dann wiederum hätte ich derartige stille Heldentaten wahrscheinlich ebenso wenig bemerkt wie jene Cellistin, die ihn weiterhin mit Nichtachtung strafte.

Manchmal erschreckt es mich, wenn Christian durchblicken läßt, wie sehr er uns, die beiden anwesenden Erwachsenen, bewundert. Wir scheinen sein einziger Kontakt zur Realität zu sein, er malt sich manchmal aus, wie er seinen Kroischenbroicher Freunden von seinen coolen Frühstücksgefährten erzählen wird, und dann frage ich mich, zu was für Wunderwesen er uns hochstilisieren wird, nur weil wir tatsächlich das Äquivalent der Londoner Kanalisation von Innen kennen.

Der zweite Teil des wir ist Jörg, mein Kumpel, mein Engel, der mich jeden Morgen verwöhnt, mir Kaffee einschenkt, mir den Toast toastet – mich zur Weißglut reizt mit seiner feinsinnigen schlagfertigen Ironie, vor der nichts und niemand sicher ist (vor allem nicht morgens um acht, BEVOR der Kaffee die Blutbahn erreicht hat) und oft genug mein Buttermesser an seiner Kehle zu spüren bekommt, weil ich mich mit Worten nicht mehr wehren kann (jedenfalls nicht, bevor der Kaffee mein Sprachzentrum erreicht hat). Ich weiß auch nicht, warum wir uns eigentlich mögen, er kann meine schlechten Gewohnheiten nicht ausstehen und hält mich für einen unwirschen Besen, ich finde es albern, daß er mich daran erinnert, daß ich schlechte Gewohnheiten habe, aber vielleicht ist gerade das eine gute Basis für unsere allmorgenliche eheliche Vertrautheit. Dafür schätze ich seine Gabe, mich zum Lachen bringen zu können (wie oft schon hab‘ ich den Kaffee quer über den Tisch geprustet) und ich bin für ihn ein wandelndes Lexikon für Griechische Mythen. Und gestern habe ich zugegebenermaßen kurz mit dem Gedanken gespielt, ihn wirklich zu heiraten, als er mir nachts um elf Vanilleeis vorsetzte und dazu eine Lebkuchenschokoladensauce – nein, zauberte ist nicht das richtige Wort, einfach nur mit den sicheren Handgriffen eines Menschen, der weiß was er tut, KOCHTE, mir mehr als die Hälfte davon im Topf überließ und hinterher auch noch wie selbstverständlich die Teller abwusch.

Und so treffen wir uns jeden Morgen, im Rittersaal, kurz nach acht, die Jungs oft noch dampfend vom Rudern in der kalten Morgenluft. Und manchmal schwingen wir uns auf in ungeahnte Höhen der Philosophie, wie man sie nur vor dem ersten Kaffee am Morgen oder nach zu viel Wein am Abend erreichen kann, manchmal sind unsere Gespräche flacher als der Englische Toast, manchmal inspirieren wir uns zu tiefen poetischen Momenten und manchmal brennt der Toaster hinten in der Ecke vor dem Kamin – aber alles das ist das Gesicht von Oxford am Morgen kurz nach acht, mit dem letzten Rest von zu wenig Schlaf noch in den Augenwinkeln.