Romantischer Kriegsheld

Seine Freunde nannten ihn „die erstaunlichste Erscheinung unter den erstaunlichen Erscheinungen dieser Welt“. Seine Kritiker „einen genialen Dilettanten, der wahrscheinlich selber nicht gewusst hat, was er wollte“. Er selbst sagte über sich nur: „Ich bin ein ziemlich komplizierter Mensch“.

Lawrence von Arabien war der uneheliche Sohn eines britischen Adligen, der es zum ungekrönten König von Arabien brachte; ein Archäologe, der zum Anführer des arabischen Aufstandes wurde; ein Kriegsheld schließlich, der wieder einfacher Soldat sein wollte, um dem Mythos um seine eignene Person zu entfliehen. Er war von allem ein wenig und darum nie eines ganz.

Als der erste Weltkrieg ausbrach, arbeitete der 26-jährige Lawrence bei Ausgrabungen im syrischen Carchemish. Von dort verschlug es ihn, der fließend Arabisch sprach, zum britischen Nachrichtendienst nach Kairo. Dort fiel er durch seine „Dreistigkeit, Launenhaftigkeit und Leichtfertigkeit“ auf, vor allem aber durch seinen Einsatz für die arabische Sache. So gelang dem Europäer, was keinem Araber je gelungen war: die Vereinigung der verschiedenen Stämme gegen die Türken.

Seinen ersten großen Erfolg hatte Lawrence mit der Eroberung von Aqaba 1917. Die Nachricht vom Sieg überbrachte er dem britischen Hauptquartier persönlich – nach einem vietägigen Ritt quer über die Sinai-Halbinsel. In Kairo hatte man Lawrence nicht erwartet. Der Zerlumpte Mann in Beduinen-Tracht, der immer wieder wirr die Worte „Aqaba“ und „Nachschub“ hervorstieß, entsprach kaum den Vorstellungen von einem britischen Offizier. Wenige Stunden später hatte sich in den Gassen Kairos die Nachricht von der Einnahme Aqabas herumgesprochen. Lawrence war zum Kriegshelden geworden.

Die Araber vertrauten ihm. Das britische Militär unterstützte ihn. Die Öffentlichkeit feierte ihn. Sie sahen ihn als genialen Strategen, in Wahrheit aber war er ein charismatischer Mensch zwischen Genie und Wahnsinn. An seinen Führungsqualitäten zweifelte niemand. Doch hatte er „von unseren Problemen, von den Motiven und Zielen des Aufstandes nichts verstanden“, sagte sein Mitstreiter, der Emir Abdallah. Nach Ende des ersten Weltkrieges nahm Lawrence als Mitglied der britischen Delegation an der Pariser Friedenskonferenz teil. Hier hoffte er, die Unabhängigkeit der arabischen Staaten vorantreiben zu können. Weder Briten noch Franzosen zeigten Interesse daran. Verbittert kehrte Lawrence nach England zurück, wo das All Souls College in Oxford ihn mit einem Forschungsstipendium auszeichnete. Statt sich der Archäologie zu widmen, begann Lawrence fieberhaft mit den Aufzeichnungen zu „Die sieben Säulen der Weisheit“, einem Bericht über seine Erfahrungen während der Revolte.

Weil die Öffentlichkeit weiter nach Geschichten über „Lawrence von Arabien“ lechzte, floh er zurück in die Reihen des Militärs. Unter dem Namen John Hume Ross schrieb er sich bei der Royal Air Force ein. Nach nur vier Monaten wurde er dort von Reportern entdeckt. Deshalb tauchte er in einem Panzercorps unter. Einige Zeit später wechselte er wieder zur Luftwaffe. Dort hatte er genug Zeit, um auch noch „Unter dem Prägestock“ zu schreiben, einen Bericht über seine Zeit bei der Air Force. Darauf folgte eine Prosa-Übersetzung von Homers „Odyssee“ aus dem Altgriechischen ins Englische. Die letzten Jahre seines Lebens widmete er sich außerdem der Entwicklung von Schnellbooten für die Armee.

Sein Tod war so mysteriös wie sein Leben. Lawrence war auf seinem geliebten Motorrad, einer Brough-Superior, auf dem Heimweg vom Postamt, als er zwei Fahrradfahrern ausweichen musste und die Kontrolle über seine Maschine verlor. So die offizielle Version. Bald schon kamen Gerüchte auf, Lawrence habe den Tod nur vorgetäuscht, um sich nach Afrika abzusetzen und die Äthiopier bei ihrem Aufstand gegen Mussolinis Truppen zu unterstützen.

Seine Mutter ließ auf den Grabstein meißeln „Fellow of All Souls College, Oxford“. Es war die eine Aufgabe in seinem Leben, der er am wenigsten von dem gegeben hatte, was er am meisten besaß: Leidenschaft.

Erschienen als Teil der Serie „Mohammeds zornige Erben“, stern 45/2001