Königliches Toastbrot

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der englische König Richard II. vermutlich auf Geheiß seines Nachfolgers Heinrich IV. im Tower verhungert ist. Zeit seines Lebens erwies sich Richard als Feinschmecker, der sich mit Vorliebe aus dem „Forme of Cury“ bekochen ließ – dem ältesten bekannten Kochbuch in englischer Sprache. Ab dem nächsten Jahr wird die Originalausgabe aus dem Jahr 1390 digitalisiert im Internet zu sehen sein. Die John Ryslands University Library der University of Manchester plant, nach und nach ihren umfangreichen Bestand mittelalterlicher Werke öffentlich zugänglich zu machen. Die betagte Rezeptesammlung dürfte zu den Höhepunkten zählen. Ihr ist zu entnehmen, dass am Hofe Richards gern „Pygg in Sawse Sawge“ – Schwein in Salbeisoße – gereicht wurde. Dafür musste das Küchenpersonal geviertelte Schweine in Salzwasser kochen. Ein Snack wie Toastbrot in Honigwein würde vermutlich auch heutzutage Genießer erfreuen. Das „Forme of Cury“ rät sehr präzise: „Nimm Wein und Honig, koche sie sehr lange, und füge Ingwerpulver, Pfeffer und Salz hinzu. Lege Toastbrot hinein, und schmücke das ganze mit geschnitzten Ingwerstückchen.“

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 41/2008.

Wikinger auf Frauenfang

Was war die treibende Kraft hinter den gefürchteten Raubzüger der Wikinger nach England und Irland? Die Frauen, glaubt der Archäologe James Barrett vom McDonald Institute for Archaeological Research der Cambridge University. Oder vielmehr deren Abwesenheit. Die Wikinger, so der Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Antiquity, hätten unter Frauenmangel gelitten. Dieser Zustand sei allerdings selbst verschuldet. In den Íslendinga sögur (Islandsagas) und anderen mittelalterlichen Quellen finden sich immer wieder Hinweise auf Infantizide, Tötungen von Neugeborenen. Besonders Mädchen hatten schlechte Karten. Die Praxis rächte sich später, wenn es darum ging, heiratsfähige Frauen zu finden. Also segelten die jungen Männer los, sich anderweitig ein Weib und die finanziellen Mittel zum Erwerb eines eigenen Hofes zu besorgen. “Denn trotz der Fokussierung auf den Krieg waren eine Frau und ein Hof geschätzte Prestigeobjekte in der Gesellschaft der Wikinger”, erklärt Barrett dem Spiegel. Die These des Archäologen findet Rückhalt in der archäologischen Fundlage. Die Gräber der Frauen enthalten oft feine Stoffe, Schmuck oder Geschirr, das ihre Männer einst in der Ferne hatten mitgehen lassen – als ein letztes Andenken an die Heimat.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 40/2008.

Schlau durchs Kochen

Der Herd war vielleicht die wichtigste Erfindung, die der Mensch jemals gemacht hat. Das zumindest vermutet Philipp Khaitovich vom Partner Institute for Computational Biology in Shanghai. Denn der Beginn der Kochkunst könnte dafür verantwortlich sein, dass unser Gehirn vor 150 000 Jahren einen gewaltigen Entwicklungsschub machte. Durch die Zubereitung der Nahrung über dem Feuer werden Ballaststoffe aufgebrochen, und der Körper kann Nährstoffe leichter aufnehmen – eine Arbeit, die bei ungekochtem Essen der Darm übernehmen muss. Diese Hilfestellung für das Verdauungssystem hatte vor allem eins zur Folge: jede Menge ungenutzter Kalorien, die dem Körper auf einmal zur freien Verfügung standen. Und wo steckte er sie hin? Ins Gehirn! Die organischen Anlagen für den Entwicklungsschub waren bereits vorhanden. Seit etwa zwei Millionen Jahren sind menschliche Gehirne so groß wie heute, fast doppelt so groß wie das durchschnittliche Primatenhirn. ”Wir nutzten unser Gehirn knapp zwei Millionen Jahre lang immer nur dazu, die gleichen langweiligen Steinwerkzeuge herzustellen“, sagt Khaitovich, „doch dann wurden wir plötzlich klug.“ Allerdings habe, glaubt Khaitovich, dieser Schub des Metabolismus für unser Hirn auch überraschende Nachteile mit sich gebracht: Auf die Mehrarbeit kann das Denkorgan empfindsam reagieren – mit Störungen wie Depressionen, Autismus oder Schizophrenie.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 34/2008.

Wikingerdock im Robbenland

Auf der Suche nach Spuren des Klimawandels in Grönland hat eine norwegische Expedition wahrscheinlich die bislang nördlichste ganzjährig bewohnte Wikingersiedlung auf der Insel entdeckt. Das Team des „Melting Arctic“-Projekts unter der Leitung von Knut Espen Solberg fand an der Baffinbai die Ruinen einiger kleiner Steinhäuser sowie ein Dock für große Schiffe mit bis zu 30 Meter Länge. Dass in diesen nördlichen Gefilden die Wikinger nach Walrossen, Robben und Eisbären jagten, ist aus zeitgenössischen Berichten bekannt. Bislang gab es aber noch keinen archäologischen Nachweis für Siedlungstätigkeit in der Region. Die einzige andere Erklärung: Erst Walfänger des 16. Jahrhunderts errichteten das Dock. Wann genau die Anlage entstand – und wer folglich die Erbauer waren – , soll jetzt eine C14-Datierung klären. Im 14. Jahrhundert, als die Wikinger im Norden Grönlands siedelten, war das Klima an der Baffinbai deutlich wärmer. Sogar Bäume wuchsen damals auf dem kargen Boden, der heute nur aus Eis und Granit besteht. Warum dann aber eine Kälteperiode einsetzte, und zur Flucht der Nordmänner aus dem unwirtlich gewordenen Grönland führte, ist bislang noch wenig erforscht.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 33/2008.

Ausgrabung am Monitor

Graben ohne Spaten – dass dies möglich ist, hat der Archäologe David Thomas von der La Trobe University in Melbourne jetzt eindrucksvoll bewiesen. Weil eine Reise nach Afghanistan zu gefährlich war, setzte er sich an den Rechner und inspizierte einen 1367 Quadratkilometer großen Streifen der Wüstenregion Registan mit Hilfe der Satellitenbilder von Google Earth. Er entdeckte dabei 463 archäologische Strukturen, darunter eine alte Festung, Lagerplätze, Dörfer, Wasserreservoirs und Kanäle. Von der alten Winterhauptstadt Bust am Ufer des Helmands, wo schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts französische Archäologen gegraben haben, fertigte er erstmals eine genaue Karte. Die Wüste eignet sich nach Ansicht des Forschers besonders gut für die systematische Inspektion aus der Vogelperspektive – weder Vegetation noch moderne Bebauung behindern den Blick auf de Stätten. „Das Wertvollste an unserer Arbeit ist, dass wir diese Informationen jetzt an die afghanischen Archäologen weitergeben können“, sagt Thomas.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 32/2008.

Tödliche Tinte

Es war wohl der Dienst an Gott, der die Mönche der ehemaligen Abtei Øm in Dänemark das Leben kostete. Das zumindest legt die Studie des Chemikers Kaare Lund Rasmussen von der Süddänischen Universität in Odense nahe. Er untersuchte Knochen aus sechs mittelalterlichen Friedhöfen – und in denjenigen der Ømer Mönche fand er einen auffällig hohen Quecksilberanteil. Die Ursache, so Lund Rasmussen, sei die rote Tinte gewesen, mit der die Mönche einst die Bibel kopierten. Denn die bestand aus Cinnabarit, bekannt als Zinnober, ein Sulfid des Quecksilbers. Eigentlich war der Stoff ein gängiges Medikament zur Behandlung von Syphilis und einer lepraähnlichen Krankheit namens FOS – und in den Knochen von den anderen Friedhöfen fand Lund Rasmussen auch entsprechende Belege: 79 Prozent der FOS-Opfer und 35 Prozent der Syphiliskranken trugen Quecksilberspuren. Doch bei den Mönchen von Øm bemerkte er keinerlei Hinweis auf diese Krankheiten: Ihre Knochen hätten also quecksilberfrei sein müssen. Lund Rasmussen ist daher überzeugt, dass die zinnoberrote Schwermetallfarbe die Kopisten der Bibel nach und nach vergiftet hat: „Es ist eine sehr menschliche Angewohnheit, den Pinsel zu lecken, wenn man eine feine Linie malen will.“

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 28/2008.

10 000 Jahre Paris

Paris ist älter als gedacht: Vor fast 10 000 Jahren fertigten Jäger und Sammler schon Fellmäntel am Ufer der Seine – Archäologen haben im 15. Arrondissement die Reste einer improvisierten Werkstatt aus der Steinzeit entdeckt, anderthalb Kilometer vom Eifelturm entfernt. Bislang galt der 3000 Jahre jüngere Fund eines Fischerdorfes zwischen Seine und heutiger Gare de Lyon als erste Siedlungsspur. Auf dem neuentdeckten Platz sortierten und verarbeiteten die Steinzeit-Pariser neben Fellen auch Feuerstein: Sie kamen zwischen den Jagdzügen ans Ufer, fertigten aus den Steinen neue Waffen und Werkzeuge und nahmen die erbeuteten Tiere aus. „Manchmal blieben sie einige Tage, manchmal Wochen “, sagt die Ausgräberin Bénédicte Souffi. Nun soll an der Fundstelle eine Sortieranlage für den Müll zweier Arrondissements gebaut werden. ”Damit schließen wir den Kreis: Unsere Vorfahren trennten hier um 7600 vor Christus brauchbare von unbrauchbaren Steinen. Wir werden bald Ähnliches tun – in etwas größerem Maßstab.“

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 28/2008.

Wein aus der Wüste

„Das ist mein Blut, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden“, sprach Jesus beim Letzten Abendmahl und gab seinen Jüngern Wein zu trinken. Das Ritual der Christenheit war geschaffen – und fortan hatten die Gläubigen ein Problem: Begehrt war vor allem Saft von Reben, die im heiligen Boden gewurzelt hatten. Die Erde auf der Halbinsel Sinai aber war dürr und unfruchtbar. Trotzdem haben Archäologen dort jetzt ein Anbaugebiet in der Nähe des Katharinenklosters aus dem 4. Jahrhundert entdeckt, am Fuß des Djebel Musa, jenes Bergers, an dem Gott aus dem brennenden Dornbusch zu Mose sprach und dieser die Zehn Gebote empfing. Der Fundort liegt mitten in einer kargen Wüstenlandschaft – offenbar verfügten die frühen Winzer über effiziente Bewässerungssysteme. Die Ausgräber fanden zwei Becken mit je 1,2 Meter Durchmesser, in denen die Mönche den Wein mit den Füßen pressten. Amphoren für die Abfüllung, Traubenkerne und rote Rückstände an den Wänden belegen außerdem, dass die Anlage zum Keltern benutzt wurde. Patrick McGovern von der University of Pennsylvania, Molekulararchäologe und Spezialist für alten Wein, ist sicher: „Da „heiliger Wein“ im Mittelalter bei Pilgern sehr beliebt war, vermute ich im Katharinenkloster sogar noch weitere Weinpressen. Wahrscheinlich wurde dort in ganz großem Stil gekeltert.“

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 27/2008.

Das Geheimnis des uralten Riesenhügels

Silbury Hill, ein vor rund 4400 Jahren von Menschenhand aufgeschütteter riesiger Kreidehügel in der Nähe der südenglischen Ortschaft Avebury, beflügelt die Phantasie der Forscher seit langem. Nun hat der britische Archäologe Jim Leary das Geheimnis des prähistorischen Monuments gelüftet: In seinem Inneren befindet sich – gar nichts. Zu diesem verblüffenden Ergebnis kam der Wissenschaftler nach drei Jahren Restaurierungs- und Grabungsarbeiten im Auftrag der staatlichen Kulturschutzorganisation English Heritage. Es sei den Erbauern offenbar gar nicht darum gegangen, einen Hügel aufzuschichten, enthüllte Leary vor kurzem bei einem Treffen der Society of Antiquaries in London: „Ich glaube, dass der Akt der Errichtung eine Zeremonie war und die fertige Form nur ein Nebenprodukt.“ Immerhin muss es sich um einen zeitraubenden Akt gehandelt haben: Um das Jahr 2400 vor Christus begannen die Erbauer, den kreidigen Boden neben der Quelle des Kennet River anzuhäufen. Schätzungsweise 35 Millionen Körbe später standen sie auf einer der höchsten von Menschenhand geschaffenen Erhebungen Europas – 45 Meter über den feuchten Flußwiesen.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 21/2008.