Forscher in der Tiertoilette

Das ist kein Job, den man unbedingt haben will: Die Forscher Brian Chase, Andy Carr und Arnoud Boom sammeln in Südafrika jahrhundertealte Urin-Reste von Tieren. Sie wollen damit etwas über den Klimawandel herausfinden. Das ist einerseits eklig, andererseits aber auch genial: In Südafrika leben Klippschliefer, die sehen aus wie große Meerschweinchen, sie sind aber tatsächlich entfernte Verwandte von Elefanten. Die Tiere haben eine sehr nützliche Angewohnheit: Klippschliefer-Familien pinkeln über Jahrtausende hinweg immer wieder in die selbe Toilette, zum Beispiel unter einen Felsüberhang. Der Urin trocknet und bildet um die kleinen Kotkugeln herum harte Ablagerungen, die bis zu 40 Zentimeter dick sind. Die Forscher müssen nun die Klippschliefer-Klos anbohren und Proben entnehmen. Weil auch bei Klippschliefern immer nur hinten rauskommt, was vorher vorn reingegangen ist, können die Wissenschaftler aus dem Kot erkennen, welche Pflanzen wann in der Gegend gewachsen sind. Und daraus schließen sie, welches Klima herrschte.

Erschienen in Dein Spiegel 12/2010.

Massenmord in Oxford

Auf dem Gelände des St. John’s College in Oxford sind Archäologen auf die Spuren eines jahrhundertelaten Gewaltverbrechens gestoßen. Im Erdboden lagen die Knochen von mindestens 34 großen, kräftigen Männern. Laboruntersuchungen zeigen nun, wie diese zu Tode kamen: 20 der Skelette haben Stichkanäle in den Rückenwirbeln oder dem Beckenknochen, 27 der Schädel sind zerstrümmert. Verletzungen der Rippen der Toten lassen darauf schließen, dass fast die Hälfte von ihnen von hinten angegriffen wurde. Bei 5 von ihnen hatte jemand versucht, den Kopf abzuschlagen – was bei einem weiteren tatsächlich gelang. Zusätzlich erlitten einige der Opfer Verbrennungen. Doch wer waren die Toten? Eine Laboranalyse der Knochen hat ergeben, dass sie – anders als die heimischen Angelsachsen – zu Lebzeiten reichlich Fisch gegessen hatten. Zudem waren sie ungewöhnlich groß. Alles spricht somit dafür, dass es sich bei den Dahingemeuchelten um Wikinger handelte. Der Fund passt zu einem Ereignis, von dem die angelsächsischen Chroniken berichten. Am 13. November 1002 verordnete König Ethelred die Ermordung aller dänischen Wikinger in seinem Reich. Er selbst beschrieb, was an jenem Tag beim St. Brice’s Day-Massaker in Oxford geschah: Die Dänen suchten Zuflucht in einer Holzkirche, doch seine Männer setzten kurzerhand das Gebäude in Brand. Anschließend karrte man die Leichen vor das Nordtor der Stadt und kippte sie in einen Graben. 1555 wurde das St. John’s College gegründet und über dem in Vergessenheit geratenen Massengrab erbaut.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 46/2010.

Frischluft

Erschienen in Geo, November 2010
Die „Magna Carta” soll in einem sichereren Edelgas gelagert werden als bisher
Nach dem Tod seines Bruders Richard Löwenherz im Jahr 1199 begann Johann Ohneland als dessen Thronfolger, fri über die Schicksale seiner Untertanen zu bestimmen – bis hin zu der Entscheidung, wen sie heiraten durften. Die Johann endlich von aufständischen Adligen abgetrotzte Unterzeichnung der Magna Carta bedeutete auch für einfache Bürger eine Verbesserung ihrer Lebensumstände.
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Die weißen Blumen des Bösen

Die riesigen Steinstatuen auf der Osterinsel haben einen winzigen Feind: Flechten. Der aggressive Bewuchs bildet Säuren, die Löcher in das Vulkangestein der Moai genannten Skulpturen fressen. Ein Forscherteam um Lorenzo Casamenti aus Florenz will die Flechten nun mit einer Chemielösung beseitigen. Frühere Versuche, die Löcher mit Beton zu füllen, gingen auf fatale Weise schief: Die Füllung verstärkte noch die Erosion durch Wind und Salzwasser. Außerdem schien der Beton den Flechten ebenso gut zu schmecken wie das Originalgestein. Flechten gehören zu den widerstandsfähigsten Lebewesen. 200 Arten überleben in der Antarktis; Experimente haben gezeigt, dass sie sogar im Weltraum eine zeitlang existieren können. Die Italiener haben einheimische Archäologen zu Steinrestauratoren ausgebildet, damit sie künftig „die weißen Blumen des Bösen”, wie die Moai-Flechten auf der Osterinsel heißen, bekämpfen können.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 42/2010.

Nordisches Mini-Pompeji

In Norwegen sind Ausgräber auf eine Art Mini-Pompeji gestoßen. Die Siedlung in der Nähe der heutigen Stadt Kristiansand wurde zwar nicht von Vulkanasche zugedeckt, aber um 3500 vor Christus urplötzlich von Sand verschüttet. Der Sand konservierte Mauern, Pfeilspitzen und jungsteinzeitliche Gefäße. Archäologen hatten in Norwegen aus jener frühen Epoche bislang nur stark zertrümmerte Gefäße gefunden. Nun zogen sie ein komplettes Exemplar mit einem Randdurchmesser von 35 Zentimetern aus dem Boden. Warum die Stadt unter Sand verschüttet wurde, ist ein Mysterium. Ausgrabungssprecher Håkon Glørstad vermutet, dass ein Sandsturm das Dorf einst begrub. Zu jener Zeit war das Klima in Norwegen trockener als heute, Sandstürme traten recht häufig auf. Die Archäologen planen nun, Schicht um Schicht zu entfernen. Glørstad: „Wir gehen so behutsam vor wie bei der Ausgrabung eines Dinosaurierskelettes.”

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 42/2010.

Schädel-OP in der Bronzezeit

In einem kleinen Dorf am Schwarzen Meer lebten vor über 4000 Jahren Menschen, die offenbar schon überaus geschickt am offenen Schädel operieren konnten. So haben Ausgräber der Siedlung Ikiztepe in der türkischen Provinz Samsun Skalpelle gefunden, die aus dem vulkanischen Gesteinsglas Obsidian gefertigt wurden. Daneben stießen die Forscher auf insgesamt 14 Schädel, die deutliche Operationsspuren aufwiesen. „Die Klingen sind noch heute so scharf, dass man sich daran schneiden kann”, erklärt Grabungsleiter Önder Bilgi. Das rasiermesserscharfe Operationsbesteck stammte allerdings nicht aus der Region, sondern muss von weit her importiert worden sein. Mit diesen Messern schnitten die bronzezeitlichen Chirurgen rechteckige Löcher in die Schädeldecke ihrer Patienten. Bilgi vermutet, dass die Heiler von einst sogar versuchten, Schlaganfälle und Tumoren zu behandeln. So entdeckten die Experten Blutspuren an der Innenseite einiger geöffneter Schädel. Dass tatsächlich Operationen stattfanden und nicht etwa rituelle Tötungen, zeigen Knochenheilungsspuren: Viele der Patienten lebten nach den Eingriffen noch mehrere Jahre weiter.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 37/2010.