Auf dem Gelände des St. John’s College in Oxford sind Archäologen auf die Spuren eines jahrhundertelaten Gewaltverbrechens gestoßen. Im Erdboden lagen die Knochen von mindestens 34 großen, kräftigen Männern. Laboruntersuchungen zeigen nun, wie diese zu Tode kamen: 20 der Skelette haben Stichkanäle in den Rückenwirbeln oder dem Beckenknochen, 27 der Schädel sind zerstrümmert. Verletzungen der Rippen der Toten lassen darauf schließen, dass fast die Hälfte von ihnen von hinten angegriffen wurde. Bei 5 von ihnen hatte jemand versucht, den Kopf abzuschlagen – was bei einem weiteren tatsächlich gelang. Zusätzlich erlitten einige der Opfer Verbrennungen. Doch wer waren die Toten? Eine Laboranalyse der Knochen hat ergeben, dass sie – anders als die heimischen Angelsachsen – zu Lebzeiten reichlich Fisch gegessen hatten. Zudem waren sie ungewöhnlich groß. Alles spricht somit dafür, dass es sich bei den Dahingemeuchelten um Wikinger handelte. Der Fund passt zu einem Ereignis, von dem die angelsächsischen Chroniken berichten. Am 13. November 1002 verordnete König Ethelred die Ermordung aller dänischen Wikinger in seinem Reich. Er selbst beschrieb, was an jenem Tag beim St. Brice’s Day-Massaker in Oxford geschah: Die Dänen suchten Zuflucht in einer Holzkirche, doch seine Männer setzten kurzerhand das Gebäude in Brand. Anschließend karrte man die Leichen vor das Nordtor der Stadt und kippte sie in einen Graben. 1555 wurde das St. John’s College gegründet und über dem in Vergessenheit geratenen Massengrab erbaut.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 46/2010.