The King’s Blood

War König Heinrich VIII. von England ein kranker Mann? Bekannt ist, dass sich der gelehrte und sportbegeisterte Herrscher am Ende seines Lebens in einen kränklichen und griesgrämigen Tyrannen verwandelte. Zwei US-Wissenschaftlerinnen glauben darin die Anzeichen eines Erbleidens erkennen zu können. Die Archäologin Catrina Whitley und die Anthropologin Kyra Kramer haben bei der Queen bereits um Erlaubnis angefragt, den 1547 verstorbenen Monarchen zu exhumieren. In Heinrichs DNA wollen sie nach Hinweisen auf sogenannte Kell-Antigene suchen, wie sie sich nur bei etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung finden. Ein reinerbiger Träger Kell-positiven Bluts kann sich nur bedingt mit einer Trägerin Kell-negativen Bluts fortpflanzen – was die vielen Fehlgeburten von Heimrichs ersten beiden Frauen, Katharina von Aragón und Anne Boleyn, erklären würde. Außerdem können Kell-positive Menschen am McLeod-Syndrom leiden, einer seltenen Genmutation auf dem X-Chromosom. Menschen mit dieser Krankheit zeigen oft frühzeitig Anzeichen körperlichen und seelischen Verfalls, wie sie auch für Heinrich nach seinem 40. Lebensjahr überliefert sind. Das britische Königshaus hat sich zum Anliegen der Forscherinnen noch nicht geäußert.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 10/2011.

Wächter in der Nacht

Mit dem Bau des ersten Wolkenkratzers der Welt haben die Bewohner von Jericho vor rund 10 000 Jahren offenbar ein Bollwerk gegen die Finsternis geschaffen. Sie errichteten einen über acht Meter hohen steinernen Turm – und zwar genau an jener Stelle, an der am Abend der Sommersonnenwende der Schatten des nahe gelegenen Karantal-Gipfels ihre Siedlung zu verdunkeln begann. Dass die Position des Turmes tatsächlich mit dem Schattenfall übereinstimmt, haben die beiden Archäologen Roy Liran und Ran Barkai von der Tel Aviv University in einer 3-D-Computersimulation nachgewiesen. „Dieser Moment ist dramatisch”, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Antiquity”; während der Schatten des Karantal die ersten Häuser der Siedlung in Dunkelheit tauchte, strahlte die Spitze des Bauwerks noch minutenlang im Sonnenlicht. ”Wir nehmen an, dass der Turm als Wächter gegen die Gefahren errichtet wurde, die im Zwielicht der letzten Strahlen der sterbneden Sonne lauern”, schreiben die Forscher mit einem Anflug von Poesie. Unter den Fachgelehrten gilt der 1952 entdeckte neolithische Bau als eines der ältesten Steinmonumente in der Geschichte der Menschheit.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 09/2011.

Wracks im Giftschlamm

Nach dem neuesten Fund von John Vetter wird kaum ein Schatztaucher freiwillig tauchen wollen. Der Archäologe entdeckte mit Hilfe von Sonartechnik vier Schiffswracks auf dem Grund des Gowanus Canal – eines der wohl dreckigsten Gewässer von New York City. Vetter gehört zu einem Team von Forschern, die im Auftrag der US-Umweltbehörde die Verschmutzung des Kanals untersuchten, wozu formal auch die archäologischen Funde gehören: ein 18 Meter langes Holzboot, das noch aus dem 17. Jahrhundert stammen könnte, zwei Frachtkähne von 38 und 33 Metern Länge sowie ein kleineres Boot. Der neue Report der Umweltbehörde listet aber auch ernsthafte Ökoprobleme auf, hohe Konzentrationen an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen etwa, die zum Teil krebserregend sind. Eine Sprecherin der Umweltbehörde riet, jeden Kontakt mit dem Wasser des Kanals dringend zu vermeiden.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 08/2011.

Braukunst aus dem Weißen Haus

Thomas Jefferson war dritter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Architekt, Gartenbauer, Archäologe, Musiker, Erfinder – und Bierbrauer. Von diesem bislang eher wenig bekannten Talent des Universalgenies können sich künftig Besucher seines Anwesens Monticello im US-Bundesstaat Virginia überzeugen. Dort findet am 21. Februar die Präsentation des Monticello Reserve Ale statt. Ein Braumeister der Starr Hill Brewery braut jetzt wieder wie einst der Präsident. Dabei hatte er jedoch nur vage Vorgaben. Jefferson verwendete für sein Bier, was gerade reif und ausreichend vorhanden war: Gerste, Weizen oder Mais. Auf einen Scheffel Malz kamen drei viertel Pfund Hopfen. Brauen war auf Monticello allerdings anfangs Frauensache: Die Aufsicht führte Gattin Martha. Nach dem Ende seiner Amtszeit ließ Jefferson eigens ein Brauhaus auf Monticello errichten und bildete sogar Sklaven in der Braukunst aus. Jefferson war im übrigen nicht der einzige US-Präsident, der Alkohol herstellte. Der erste US-Präsident George Washington avancierte als Polit-Rentner zum bedeutendsten Whiskeyproduzenten des jungen Landes mit einer Jahresproduktion von 11 000 Gallonen (etwa 41 640 Liter).

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 06/2011.

Der beste Freund im Eintopf

Amerikas erster Hund landete offenbar in der Suppe. Darauf deutet ein Stück Hundeknochen hin, auf das der US-Anthropologe Samuel Belknap in einem rund 9400 Jahre alten Menschenkot-Haufen gestoßen ist. Es handelt sich um das Fragment eines Schädelknochens und gelangte vermutlich über eine Mahlzeit in den Verdauungstrakt – ein Beleg dafür, dass der beste Freund des Menschen in der Steinzeit auch mal im Eintopf endete. Die Entdeckung war eine Überraschung. Belknap hatte den bereits in den siebziger Jahren in der Hinds-Höhle im südwestlichen Texas gefundenen Menschenkot-Brocken noch einmal unter die Lupe genommen. Eine Erbgutanalyse des Knochens ergab, dass er eindeutig von einem Haushund stammt – und nicht von einem Wolf, Kojoten oder Fuchs. Ein Kollege Belknaps schätzt, dass es sich um eine Frühform jener kurznasigen Hunde handelte, die bei den Indianern der Great Plains sehr beliebt waren.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 04/2011.

Lego für Fortgeschrittene

1500 Legobausteine – darunter 110 Zahnräder – brauchte der US-Amerikaner Andrew Carol, um daraus in 30 Tagen eine der ältesten Rechenmaschinen der Welt nachzubauen. Die stammt aus dem alten Griechenland und wurde bereits vor über 2100 Jahren erfunden. Mit dem sogenannten Antikythera-Mechanismus konnten die Gelehrten Sonnen- und Mondfinsternisse vorausberechnen. Auch die Zeit bis zu den nächsten Olympischen Spielen zeigte die komplizierte Rechenmaschine an. Taucher entdeckten den verkrusteten Klumpen aus Zahnrädern und Metallstäbchen 1900 in einem Schiffswrack vor der griechischen Küste. Doch erst 2006 fanden Wissenschaftler heraus, wie die Maschine funktioniert hat. Jedenfalls fast – bis heute sind noch immer nicht alle ihre Geheimnisse geklärt. Der Antikythera-Mechanismus ist nicht die erste Rechenmaschine, die Carol aus Lego nachgebaut hat. In seiner Freizeit puzzelte er schon andere alte Rechenmaschinen aus den kleinen Plastiksteinchen zusammen. Wenn er nicht gerade mit Lego spielt, arbeitet Carol als Software-Entwickler für die Firma Apple.

Erschienen in Dein Spiegel 02/2011.

Sprechen wie Platon

Es ist, als hätten Forscher einen lebendigen Dinosaurier entdeckt: In einer isolierten Gemeinde am Schwarzen Meer nahe der türkischen Stadt Trabzon sprechen rund 5000 Menschen Griechisch noch fast so, wie es Platon und Aristoteles vor rund 2500 Jahren getan haben. Teile der türkischen Schwarzmeerküste waren in klassischer Zeit griechisch besiedelt. Ioanna Sitaridou, Sprachwissenschaftlerin von der University of Cambridge, fand heraus, dass der als Romeyka bekannte Dialekt sowohl in den Satzstrukturen als auch in vielen Vokalbeln mit der Sprache des klassischen Griechenland verblüffend eng verwandt ist – während das moderne Griechisch mitunter stark vom Altgriechischen abweicht. Bis 1923 gab es in der heutigen Türkei sehr viele griechische Gemeinden. Nach dem Vertrag von Lausanne aber wurden über eine Million Anhänger des griechisch-orthodoxen Glaubens in Kleinasien nach Griechenland ausgewiesen. Ihr Dialekt verschwand in der neuen Heimat schnell. Die griechischen Bewohner der Dörfer nahe Trabzon jedoch waren gläubige Muslime und blieben in der Türkei – wo sie sich weitgehend abschotteten und ihre Sprache bewahrten.

Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 03/2011.