Neandertaler aus der Nordsee

Erschienen in Geo, August 2009
Paläontologie Muschelfischer haben vom Grund der Nordsee einen außergewöhnlichen Beifang mitgebracht: den ältesten menschlichen Knochen, der je unter Wasser gefunden wurde
Besonders gut ging es dem Neandertaler, von dem das Augenbrauenteil des Stirnbeins gehoben worden ist, gegen Ende seines Lebens wohl nicht. Er dürfte unter Kopfschmerzen, Schwindel, Gleichgewichts- und Sehstörungen gelitten haben. Eine kleine Delle im Knochen scheint von einer sogenannten Epidermoidzyste zu stammen.
Und Fisch hatte er nicht gemocht. Das legt eine Stickstoff- und Kohlenstoffanalyse seines Knochens nahe, die auf reine Fleischnahrung hinweist. Warum fand sich der sterbliche Überrest des Neandertalers dann ausgerechnet auf dem Grund der Nordsee?
Die Antwort: Als er vor mindestens 40 000 Jahren in der Region lebte, war die Senke zwischen den heutigen Niederlanden und Großbritannien noch nicht mit Wasser gefüllt. Das Gebiet war von Rentieren, Pferden, Wollnashörnern und Mammuts bevölkert. Auch Knochen von Löwen und Hyänen haben Fischer aus den Muschelbänken der „Zeeland Ridges“ zutage gefördert.
Die Gegend gilt unter Fachleuten als Geheimtipp für fossile Funde. Deshalb entdeckte ein Amateur-Archäologe den Neandertalerknochen beim Sichten des Beifangs eines niederländischen Muschelkutters.
Näher untersucht und begutachtet wurde das „Nordseetaler“-Fragment
schließlich am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig unter Leitung von Jean-Jacques Hublin.
Auch den „Werkzeugkasten“ des Neandertalers haben Fischer ans Licht gebracht: kleine Faustkeile und Splitter von Feuersteinen, wie sie bei der Herstellung von Werkzeugen in der „Levallois-Technik“ entstanden. Dieses Verfahren nutzten die Neandertaler eu-ropaweit während der Mittleren Altsteinzeit (ca. 200 000–40 000 v. Chr.).

Schreibe einen Kommentar