Auf der Jagd nach der Unsterblichkeit

Frühe Kaiser und ihre letzten Ruhestätten

Wie so viele Geschichten beginnt auch diese mit einer Frau. In Handan, Hauptstadt des nördlich von Qin gelegenen Reiches Zhao, lebt der wohlhabende Kaufmann Lü Buwei mit seiner Konkubine. Mit Perlen, Jade und anderen Luxuswaren hat Lü Buwei ein Handelsimperium aufgebaut. Die Konkubine ist der Schmuck seines Hauses. So schön ist sie, dass im Jahr 260 v. Chr. Zhuangxiang, Sohn des Herrschers von Qin, Gefallen an ihr findet. Lü Buwei wittert ein Geschäft. Er überlässt die Frau dem jungen Prinzen. Es ist das beste Geschäft seines Lebens. Denn im darauffolgenden Jahr gebiert sie – nach einer zwölfmonatigen Schwangerschaft, wie die Historiker später berechnen werden – Zhuangxiang einen Sohn, Zhao Zheng. Und Lü Buwei wird zum engen Vertrauten des Königssprosses.

Als Zhuangxiang nach Qin zurückkehrt, folgen ihm seine Familie und sein Freund. 250 v. Chr. stirbt der alte König und entgegen der Thronfolge tritt Zhuangxiang sein Erbe an. Der neue Herrscher dankt Lü Buwei seine Treue, indem er den Kaufmann zum Kanzler macht und ihn in den Adelsstand erhebt. Doch die Regentschaft währt nicht lange – nur vier Jahre später segnet auch Zhuangxiang das Zeitliche und hinterlässt das Reich seinem erst 13 jährigen Sohn. Damit ist Lü Buwei am Zenit seiner Macht angelangt: Er ist der Kanzler eines minderjährigen Königs, hat die Regierungsgeschäfte praktisch in seiner Hand. Lü Buwei jedoch will noch mehr. Er will seine Konkubine zurück. Der Emporkömmling holt die Mutter des jungen Königs wieder in sein Haus – ein Affront ohnegleichen. Doch er hat die Rechnung ohne den jungen Zhao Zheng gemacht.

„Der König von Qin wurde mit einer markanten Nase, geschwungenen Augen, der Brust eines Raubvogels und der Stimme eines Schakals geboren“, beschreibt einer der Höflinge den jungen Herrscher. „Er erweist selten eine Gunst und hat das Herz eines Tigers oder Wolfes. In der Not kann er sich anderen unterordnen, doch wenn er seinen Willen hat, dann kann er dich, ohne zu zögern, bei lebendigem Leibe essen.“ Diesen Mann hat Lü Buwei sich zum Feind gemacht. Noch bevor Zhao Zheng volljährig wird, erkennt der ehemalige Kaufmann seinen Fehler und trennt sich von der Königinmutter. Doch für Reue ist es zu spät. 237 v. Chr. schickt der König Lü Buwei ins Exil. Dort wird er nie ankommen. Auf dem Weg in die Verbannung setzt er seinem Leben mit Gift ein Ende.

Die Wut des Zhao Zheng ist entfesselt. Er erobert das Reich Zhao, die Heimat seiner Mutter. „Der König von Qin ging nach Handan“, notieren die Geschichtsschreiber. „Alle diejenigen, die Feindschaft oder Groll gegen die Familie seiner Mutter hegten, als der König in Zhao geboren wurde, wurden verhaftet und exekutiert.“ Dann zieht er weiter. Reich für Reich fallen die alten Feinde Qins. Im Jahre 221 v. Chr. hat er es geschafft: „Alles unter dem Himmel“ – das ganze chinesische Reich – ist in seiner Macht vereint. Dazu gehören die Länder zwischen dem Gelben Fluss im Norden und dem Yangzi im Süden, vom Pazifik im Osten bis zur Steppe im Westen, ein Gebiet das in etwa so groß ist wie das heutige Westeuropa. Der Titel eines Königs reicht nicht mehr aus, seine Herrlichkeit zu beschreiben. Zhaio Zheng lässt sich fortan Qin Shihuang di nennen, „Erster erhabener Kaiser von Qin“. Huang heißt „erhaben“, di war ein Jahrtausend vor seiner Zeit der Name für eine Gottheit, später wurden Gründerkönige so genannt. Shi steht für „erster“ oder „erste Generation“.

Qin Shihuang di beginnt sein Reich straff zu organisieren. Alle Bauern zwischen 17 und 60 Jahren können fortan für einen Monat pro Jahr für den Bau staatlicher Großprojekte eingezogen werden – wenn nötig auch länger. Bedarf an Arbeitskräften gibt es in der Tat reichlich: Der Kaiser lässt ein Straßennetz bauen, das die Hauptstadt mit allen Landesteilen verbindet. Soldaten, Boten, Waren – sie alle können nun binnen Tagen in jeden Winkel des Reiches gelangen. Im Norden entsteht unter der Leitung des Generals Meng Tian die Große Mauer, welche die Steppennomaden abwehren soll. Doch nicht nur in der Ferne, auch in der Hauptstadt lässt Qin Shihuang di bauen. Brücken, Parkanlagen, Paläste – insgesamt 270 Bauprojekte gibt der erste Kaiser in Xiangyang in Auftrag. Krönung des Ganzen soll sein Epang-Palast sein. „Er begann mit der großen Halle“, berichtet der Großhistoriograph Sima Qian später, „die 500 bu von Ost nach West maß und 500 zhang von Norden nach Süden (etwa 675 mal 112 Meter). In der Halle fanden Tausende von Menschen Platz. (…) Von allen Seiten führten Kolonnaden direkt zu den Nan-Bergen. Er machte die Gipfel der Nan-Berge zum Hauptportal seines Palastes. Er errichtete eine hoch gelegene Kolonnade, die vom Palast über den Wei bis nach Xianyang führte und die Sternenkonstellation symbolisierte, die vom Himmelspol über die Milchstraße bis zum Sternbild des Hauses reicht.“

Die Steine des Palastes sind allerdings mit Blut getränkt. Über 700 000 kastrierte oder verbannte Kriminelle müssen schuften, um die Residenz und das Grabmal des Kaisers zu errichten. 300 000 Mann bauen unterdesen an der Großen Mauer. 120 000 Adelsfamilien aus den ehemals feindlichen Ländern werden zwangsumgesiedelt. In mehreren Wellen verpflanzt Qin Shihuang di zuerst 30 000 Familien auf die Halbinsel Shandong, später folgen insgesamt 110 000 weitere Familien in die Grenzgebiete des Reiches. Der Kaiser gebietet über 30 Millionen Untertanen. Am Ende seiner Herrschaft wird er zwei Millionen davon ermordet haben: durch Hinrichtung, Teilnahme an den Eroberungskriegen oder in der Zwangsarbeit.

Ein Einheitsreich braucht natürlich auch eine Einheitsschrift. Der Kaiser beauftragt seinen Minister Li Si mit der ehrenvollen Aufgabe. Als Li Si mit der Arbeit fertig ist, hat die chinesische Schrift rund ein Viertel weniger Zeichenvarianten. Doch diese „Verschlankung“ macht sie einfacher zu handhaben. In den folgenden Jahrhunderten wird die chinesische Schrift zum Kulturträger im gesamten asiatischen Raum. Was an Schriften vom Kaiserhof allerdings nicht ausdrücklich genehmigt ist, soll verbrannt werden. Lieder, Urkunden, und vor allem historische Aufzeichnungen der besiegten Staaten – alles übergibt Qin Shihuang di den Flammen. „Jeder, der es wagt, über die Lieder und die Urkunden zu diskutieren, soll auf dem Marktplatz hingerichtet werden“, lautet der kaiserliche Erlass. „Diejenigen, die das alte System heranziehen, um das neue zu kritisieren, sollen mitsamt ihren Familien exekutiert werden. Beamte, die von diesen Verbrechen hören oder von ihnen wissen, ohne sie zu verfolgen, sollen genau so bestraft werden wie diese Kriminellen. Dreißig Tage, nachdem dieses Dekret ergangen ist, wird jeder, der seine Bücher noch nicht verbrannt hat, mit dem Brandmal im Gesicht und Zwangsarbeit bestraft. Ausgenommen sind nur Bücher über Medizin, Orakelkunde und Landwirtschaft.“

Es gibt nur eines, was der Kaiser fürchtet. Den Tod. Als er hört, dass es auf der Insel Penglai ein Elixier der Unsterblichkeit geben soll, schickt er den Weisen Xu Fu mit Schiffen hinaus aufs Meer. Im Schlepptau hat der Gelehrte 3000 junge Männer und Frauen mit Werkzeugen und Saatgut als Geschenke für die Inselbewohner. Doch Xu Fu und die 3000 Botschafter des Kaisers kommen nie zurück. Wenn der Herrscher den Tod schon nicht bezwingen kann, so will er wenigstens für das Jenseits vorsorgen. Bereits im Jahr seines Regierungsantritts beginnt Qin Shi Huang di mit dem Bau seines Grabmals am Berg Li, nahe der Hauptstadt. „Als der Kaiser die Welt vereint hatte, wurden mehr als 700 000 Zwangsarbeiter hierhin entsandt“, berichten die Annalen. „Sie gruben sich durch drei unterirdische Ströme hindurch und verschlossen den äußeren Sarg mit geschmolzenem Kupfer. Das Grab wurde mit Modellen von Palästen, Pavillons und Amtsgebäuden ausgestattet wie auch mit schönen Gefäßen, Edelsteinen und Kostbarkeiten. Er befahl den Handwerkern, gespannte Armbrüste zu fertigen. Jeder, der ihren Weg kreuzte, würde sofort erschossen werden. Alle Flüsse des Reiches, der Gelbe Fluss und der Yangzi waren in Quecksilber nachgebildet und flossen mithilfe eines Mechanismus in einen winzigen Ozean. Oben waren die Sternbilder des Himmels zu sehen und unten die Regionen der Erde. Die Kerzen wurden aus dem Dugong-Öl gemacht, das für sehr lange Zeit brennen würde.“ Etwa 7300 lebensgroße Krieger aus Terrakotta, allesamt schwer bewaffnet, sollen den Kaiser im Jenseits schützen.

Doch damit nicht genug. „Es ist ungebührlich, dass die Konkubinen, die dem verstorbenen Kaiser keine Söhne geboren haben, frei sein sollen“, bestimmt nach dem Tod des Kaisers sein Nachfolger Huhai. Die Schreiber vermerken: „Eine große Zahl von ihnen starb. Nachdem der Sarg in das Grab hinabgelassen worden war, erwähnte jemand, dass die Handwerker, welche die Mechanismen ersonnen hatten, alle Geheimnisse der versteckten Schätze kennen. Als das große Ereignis vorüber war und die Schätze an ihrem Platz standen, wurde der mittlere Abschnitt des Grabes verschlossen, und dann wurde die Tür am äußeren Abschnitt gesenkt. So waren alle Handwerker im Grab eingeschlossen, und keiner entkam. “Huhai nutzt die Gunst der Stunde, um in den Nebengräbern an diesem Tag auch noch mehr als ein Dutzend mächtiger Beamter verschwinden zu lassen, zusammen mit einigen seiner Geschwister. Im Grab seines Vaters verstummen die potentiellen Rivalen für immer.

Doch diese Maßnahme reicht nicht aus, sich aller Feinde zu erledigen. Drei Jahre nur dauert die Herrschaft des Huhai, dann kommt er durch die Hand des Eunuchen Zhao Gao zu Tode. Ihm folgt ein Enkel des ersten Kaisers, dem in den 46 Tagen seiner Herrschaft gerade genug Zeit verbleibt, wiederum Zhao Gao ins Jenseits zu befördern. Dann fallen Aufständische in der Hauptstadt ein und ermorden den letzten Nachfahren Qin Shihuang dis. Gerade einmal 14 Jahre währte die Dynastie, von der ihr Begründer einst tönte, sie solle „10 000 Generationen“ überdauern.

In den Wirren der Bandenkriege rivalisierender Heerführer, die mit dem Niedergang der ersten Kaiserdynastie einhergehen, soll der kleine Beamte Liu Bang eine Gruppe Strafgefangener eskortieren. Doch statt dessen startet er mit ihnen eine Revolte. Mit Erfolg: 206 v. Chr. gibt Liu Bang sich den Titel „König von Han“. Vier Jahre später hat er alle seine Konkurrenten bei Seite geschafft. Der Weg zum Kaiserthron ist frei. Die von Liu Bang – später bekannt als Gaozu – begründete Dynastie der Han wird in den folgenden vier Jahrhunderten die Geschicke Chinas bestimmen.

Auch die Han-Kaiser schaffen sich monumentale Palastmodelle für das Jenseits. Als markantestes Merkmal einer solchen Anlage erhebt sich stets der künstlich aufgeschüttete Grabhügel über der herrschaftlichen Ruhestätte. Dafür allein werden gewaltige Erdmassen bewegt, kaum einer dieser Hügel ist unter 30 Metern hoch. Darum errichten die Grabarchitekten eine Mauer, innerhalb derer eine kleine Stadt entsteht: Gärten und Ritualhallen sowie Wohn- und Verwaltungsgebäude für Hofdamen und Personal. Wer hier wohnt, ist für die Erhaltung der Grabanlagen und die Pflege des Ahnenkultes zuständig. Nicht nur die Lebenden will ein Kaiser im Jenseits um sich haben, sondern auch die Toten. Angehörige und Freunde, verdiente Gefolgsleute und hohe Beamte bekommen eine Grabstätte in unmittelbarer Nähe des Kaisergrabes. Allein Gaozu schmückt seine Anlage mit über siebzig dieser Satellitengräber. Auch diese sind teilweise von beachtlicher Größe. Das Wei-Tal, Kaisernekropole der Han-Dynastie, wirkt mit seinen mehr als 500 Hügeln noch heute wie die Spielwiese eines Maulwurfs. Für ein machtvolles Auftreten in der anderen Welt folgen Armeen aus Ton dem Kaiser. Über 600 tönerne Reiterfiguren begleiten Gaozu in einem Nebengrab unter der Anführerschaft der menschlichen Feldherren Zhou Po und Zhou Yafu.

Das höchste Grabmal des Wei-Tales ist mit ursprünglich 46 Metern der Hügel des Han-Kaisers Wudi (140 – 87 v. Chr.). Bereits im zweiten Jahr seiner Regierung – er ist gerade achtzehn Jahre alt – beginnt der Kaiser mit Planung und Bau der Anlage. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen kann: Ihm werden 52 Jahre bleiben, sein Grab zu vervollkommnen. Es ist eine turbulente Zeit. Wudi beendet die Schmeichelpolitik seiner Vorgänger. In mehreren Feldzügen besiegt er die Xiongnu-Nomaden im Norden und Westen. Seine Truppen erobern den Norden Vietnams, besetzen Teile Koreas und stoßen bis nach Zentralasien vor. Garnisonen entlang der gerade etablierten Seidenstraße sichern den Handel mit Chinas Nachbarn im Westen. Im Inneren seines Reiches regiert Wudi mit strenger Hand. Er erklärt den Konfuzianismus zur Staatsreligion, proklamiert 104 v. Chr. einen neuen Kalender und strafft den Verwaltungsapparat. Doch so autoritär der Kaiser – dessen Ehrenname „der Kriegerische“ bedeutet – nach Außen wirkt, so wenig Durchsetzungsvermögen hat er am eigenen Herd. Bei Hofe wimmelt es nur so von Magiern und Hexen. Ihr Lockmittel ist die Unsterblichkeit – Schwachpunkt eines jeden Kaisers. Sie umgarnen Wudi mit Versprechen von ewiger Jugend und erschleichen sich seine Gunst mit Fantastereien von immerwährender Herrschaft.

Die Magie soll auch die Probleme seines Harems lösen. Wudi ist ohne männlichen Nachkommen von seiner ersten Frau. Damit auch die anderen Gemahlinnen des Kaisers keine Söhne zeugen, versucht seine Tochter, erstgeborenes Kind des Kaisers, mit Hilfe der Hexen alle Konkurrenz zu beseitigen. Doch das Komplott fliegt auf. Die erste Kaiserin, ihre Tochter und 300 weitere Familienangehörige verlieren für ihre Ambitionen das Leben. Je älter der Kaiser wird, desto üppiger blühen die Intrigen der Haremsfrauen um seine Nachfolge. Bei Streitigkeiten der Familien Li und Wei, die sowohl mit Hexenkunst (wugu) als auch mit konventionellen Waffen ausgetragen werden, sterben in der Hauptstadt Chang‘an mehrere tausend Menschen – viele davon Verwandte des Wudi. Den Kaiser lassen diese „Frauenangelegenheiten“ unterdessen kalt. Er entspannt sich in seinem Sommerpalast. Als Wudi im Frühjahr 87 v. Chr. ernsthaft erkrankt, ist noch kein neuer Nachfolger bestimmt. Sein Minister Huo Guang platziert schließlich den achtjährigen Liu Fuling auf dem Han-Thron und führt kommissarisch die Regierungsgeschäfte. Liu Fuling entstammt weder der Familie Li noch der Familie Wei. Er gilt als mutterlos. Gerüchte sagen, Huo Guang habe die Dame rechtzeitig umbringen lassen.

Noch zu Lebzeiten füllt Wudi sein Grab mit wertvollen Einrichtungsgegenständen und kostbaren Tierskulpturen. Er nennt die Anlage shouling, „Grab des Langen Lebens“. Der Wall um die Anlage ist gewaltig – an der Basis fast sechs Meter breit – und umschließt ein Rechteck von 430 mal 414 Metern Seitenlänge. Nicht weniger als 5000 Bedienstete stellt der Kaiser für die Pflege seines Grabes an. Ganz in der Nähe entsteht die Stadt Maoling. Hierher müssen nun wohlhabende und angesehene Familien umsiedeln, um Wudi auch im Tod mit Leben zu umgeben. Insgesamt wechseln 61 000 Haushalte den Wohnsitz nach Maoling – etwa 275 000 Menschen.

Doch bei Hofe werden auch Stimmen laut, die diese Verschwendung an Menschen und Material kritisieren. Die Vertreter der Mäßigung berufen sich auf die Lehre des Mozi (gest. 381 v. Chr.): Ein drei Zoll starker Sarg genüge, die verrotteten Knochen zu beherbergen. Drei Leichentücher reichen für das vermodernde Fleisch. Das Grab soll nicht so tief sein, dass sich Wasser auf dem Boden sammelt, noch soll es so flach sein, dass die Gase der Fäulnis an die Oberfläche treten. Ein Berufsstand indes lebt vom Luxus der Jenseits-Wohnungen – die Grabräuber. Noch im 3. Jahrhundert stellt ein Gelehrter fest: „Vom Altertum bis heute hat es noch keine Gräber gegeben, die nicht geöffnet worden wären, sowie es noch keinen Menschen gab, der nicht nicht gestorben wäre.“

Bei ihren Raubzügen übersehen die Grabschänder oft, was heutigen Archäologen allerdings das Herz höher schlagen lässt: Texte. Gerade in den letzten Jahren kommen – bedingt durch den Bauboom in China – immer mehr spektakuläre Schriftfunde ans Tageslicht. Der wohl aufsehenerregendste Fund stammt aus dem Grab von Mawangdui in Changsha. Zwar hatten die Architekten der Anlage beim Bau 168 v. Chr. das Grab so schlecht gegen das Grundwasser isoliert, dass von den Knochen des Verstorbenen kaum etwas übrig blieb. Doch in einer Ecke der Kammer überdauerte eine umscheinbare schwarze Lacktruhe die Jahrhunderte. Ihr Inhalt: etwa 50 Schriftstücke. Die meisten Texte waren mit Tusche auf kostbarer Seide geschrieben, andere auf Buchmatten aus zusammengebundenen Bambusstreifen. Werke über Astrologie und Astronomie zählte der Tote zu seinem Besitz, Abhandlungen über Medizin, Schamanismus und Geschichte, Wahrsagerei, Pferdezucht und Traktate über die lebensverlängernde Wirkung von Sexualpraktiken nebst Schritt-für-Schritt-Beschreibungen des Beischlafes. Auch die ältesten Seidenkarten Chinas holten die Ausgräber aus der Truhe: eine topografische des Königreiches Changsha, eine militärische mit Heerlagern und Bevölkerungsangaben und eine mit Städten und Ortschaften. Die Sensation waren aber zwei bislang unbekannte Fassungen des Daodejing, des Lehrtextes des philosophischen Daoismus. Vergleichbar wäre in unserem Kulturkreis die Entdeckung zweier unbekannter Fassungen des Johannes-Evangeliums aus den Jahrzehnten kurz nach Christi Geburt. Für die Wissenschaft sind die fragilen Seiden- und Bambusdokumente von unschätzbarem Wert: Sie ermöglichen ebenso einen Einblick in das Leben im alten China, wie die archäologischen Überreste.

Vorraussetzungen für ein gutes Leben im Jenseits sind nach den Glaubensvorstellungen zu Zeiten der Han-Dynastie ein intakter Körper und eine ausreichende Versorgung mit Gütern. Dabei gilt es, die zwei menschlichen Seelenteile entsprechend zufriedenzustellen. Nach dem Tod spaltet sich die Seele zunächst in eine unvergängliche Hauchseele (hun) und eine vergängliche Körperseele (po). Während die hun-Seele mit einem Ritual zur Rückkehr in den Körper bewegt werden muss, braucht die po-Seele Nahrung. Oft stehen ganze Staatsbankette im Grab eines Herrschers für die po-Seele bereit.

Besondere Aufmerksamkeit schenkten der ältere Bruder von Kaiser Wudi, Liu Sheng, Kaiser von Zhongshan, und seine Frau, die Prinzessin Dou Wan, dem Wohlergehen ihrer po-Seelen. Ihre Grabanlage liegt südwestlich der Kreisstadt Mancheng. Im Mai 1968 entdecken Soldaten bei Arbeitern auf einem karg bewachsenen Hügel mit Namen lingshan – was soviel wie „Grabhügelberg“ bedeutet – einen Tunnel. Er führt zu einer gewaltigen Höhle, die von Menschenhand aus dem Kalkstein geschlagen ist: Zentrum der Grabanlage des mächtigen Königs. Liu Sheng liegt noch dort; eingehüllt in sein Totengewand aus über 2000 mit Golddraht verbundenen Jade- und Nephritplättchen. Die Härte des grünen Steins steht für Gerechtigkeit, sein Klang für Weisheit, seine Elastizität für Ausdauer und Tapferkeit, sein Glanz für Menschlichkeit und seine Reinheit für die sittliche Lauterkeit. Vor allem aber dient er dazu, die Seele am Verlassen des Körpers zu hindern. Darum tragen der König und seine Frau Gewänder aus Jade. Und darum sind alle ihre Körperöffnungen mit Jade-Pfropfen versehen: Augen, Ohren, Nasenlöcher, der Mund, das After – und ein Stein für die Vagina von Dou Wan sowie eine Jade-Kappe für den Penis des Liu Sheng. Die Vorratskammern des Herrscherpaares sind ausreichend gefüllt für jahrelange Orgien im Jenseits. Über neunhundert Tongefäße speichern mehr als 5000 Kilogramm Wein, dazu Getreide, Fleisch und Fisch. Die Feuchtigkeit hat in den Gräbern von Mancheng alle Speisen verrotten lassen, aus anderen Gräbern ist jedoch die Speisekarte eines Herrscherhauses hinreichend bekannt: Schwein, Rind, Schaf, Hund, Hirsch, Kaninchen, Huhn, Ente, Kranich, Taube, Eule, Wildgans, Elster, Spatzen, Mandarin-Enten, Fasan, Karpfen, Flußbarsch und Brasse. Auf einigen Gefäßen steht in roter Farbe Menge und Art des Inhalts vermerkt: „fünfzehn shi (knapp 20 Liter) erstklassiger Hirsewein“ oder „elf shi Reiswein“. Sollte der König im Jenseits doch einmal krank werden, liegen im Grab medizinische Geräte bereit – silberne und goldene Akkupunkturnadeln, sowie ein Bronzebecken zum Reinigen von Heilpflanzen. Und für die daoistischen Sexualpraktiken nahmen Liu Sheng und seine Frau insgesamt drei Phalli aus Bronzeblech – einen einfachen und zwei doppelte – mit ins Grab.

So wie sie begonnen hat soll die Geschichte der ersten Dynastien auch mit einer Frau ihren Abschluß finden. Wu Shihuo ist Kaufmann zur Zeit der Tang-Herrschaft. Doch Ehrgeiz und Fleiß begünstigen in den frühen Jahrzehnten des 7. Jahrhunderts die Karriere des jungen Aufsteigers im Ministerium für öffentliche Arbeiten. Bald erlangt er einen Adelstitel und heiratet in eine Nebenlinie des Kaiserhauses der vorangegangenen Sui-Dynastie. Das Paar bekommt eine Tochter, die sie Wu Zhao nennen. Im Alter von 15 Jahren gelangt Wu Zhao als Nebenfrau 5. Ranges in den Harem des Tang-Kaisers Taizong. Als der Kronprinz Gaozong das hübsche Mädchen unter den Frauen seines Vaters entdeckt, verliebt er sich in sie. Nach dem Tod des Kaisers geschieht das undenkbare: Gaozong verstößt gegen alle konfuzianischen Tabus der Kindespietät gegenüber den Eltern und nimmt sich die Konkubine seines Vaters zur Frau. Für Wu Zhao ist das noch nicht genug. Sie begnügt sich nicht damit, Favoritin des Kaisers zu sein – sie will ganz nach oben. Durch Intrigen gelingt es ihr, die Hauptgemahlin ihres Gatten von ihrer Position zu vertreiben und deren Platz einzunehmen. 655 wird Wu Zhao zur Kaiserin gekrönt. Ihre ehemalige Rivalin lässt sie angeblich in Stücke reißen. Ob Wu Zhao jedoch wirklich die schlaue, böse und sexbesessene Furie ist, als die einige höfische Quellen sie darstellen, wird sich wohl nie klären lassen. Andere Stimmen beschreiben die Herrscherin als fromme Buddhistin, die sich als Wiedergeburt des Heilsbringers Bodhisattva Maitreya verehren lässt. Gleichberechtigt mit dem Konfuzianismus und Daoismus erlebt der Buddhismus während der frühen Tang-Zeit eine Blütephase. Dass auch Herrscher ihm folgten bezeugt die Entdeckung eines Reliquienschreins im Famensi Tempel 115 km nördwestlich von Xi’an. Hier fanden Archäologen Votivgaben aus Gold, Silber, Lack und Seide, die einst ein Kaiser niederlegte. 660 erleidet Gaozong einen Schlaganfall. Wu Zhong sieht ihre Stunde gekommen. Sie übernimmt die Regierungsgeschäfte für ihren schwachen Mann. Nach und nach schaltet sie alle möglichen Thronfolger aus den Reihen der Söhne des Kaisers aus. Als Gaozong nach vierzehn qualvollen Jahren im Abseits endlich stirbt, setzt die Kaiserwitwe ihren dritten Sohn Li Xian auf den Drachenthron. Doch nach nur wenigen Monaten entledigt Wu Zhong sich des unfähigen Knaben, indem sie ihn in den Süden des Reiches verbannt. Sie ersetzt ihn durch einen weiteren ihrer Söhne, den 22 jährigen Li Dan. Auch dieser Junge ist Wachs in den Händen seiner Mutter. Sie spielt den Kaiser wie eine Marionette – und lässt ihn 690 den Platz räumen. Diesmal für sich selbst. Wu Zhao proklamiert sich zur ersten weiblichen Herrscherin über „Alles unter dem Himmel“. Sie nennt sich fortan „Zetian“, was so viel bedeutet wie „dem Himmel nacheifern“ und ruft ihre eigene Dynastie aus, die Zhou.

Sofort beginnt Wu Zetian mit der Neuordnung des Reiches. Sie verlegt die Hauptstadt von Chang‘an in das weiter östlich gelegene Luoyang und bündelt die Macht zentral in ihren Händen. Mit Netzwerken und Spitzeln hält sie den Beamtenapparat unter Kontrolle – vier Fünftel der hohen Beamten verlieren während ihrer Herrschaft den Posten oder das Leben. Im Alter von 70 Jahren beordert schließlich die von Intrigen geschwächte Kaiserin ihren Sohn aus dem Exil zurück. Sie stirbt 705 und hinterlässt den nachfolgenden Generationen ein gewaltiges, wohlgeordnetes Reich. Ihr Leichnam wird an der Seite ihres Mannes Gaozong am Qianling im Kreis Sanyuanxian bestattet. Sie selber hat die monumentale Grabstätte für sich und ihren Gatten bauen lassen. Am Nordeingang stehen noch heute zwei über sechs Meter hohe Stelen. Die westliche davon trägt eine Gedenkinschrift, die Wu Zetian eigens für Gaozong verfasste. Die östliche Stele, die sie für sich selber errichten ließ, ist leer. Keine Worte, bestimmte Wu Zetian, seinen ausreichend, um ihre Verdienste zu würdigen.

Dieser Text diente als erste Vorlage für die Fernsehproduktion „Sturm über China – Das Geheimnis des Ersten Kaisers“.

Produziert von Gruppe 5 für ZDF, ZDF-E, ARTE, National Geographic Channels International, National Geographic Channel US, SBS, RAI, in Kooperation mit CCTV und CITVC.

Den Trailer auf der Webseite der Gruppe 5 ansehen»

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