Piratennester und Schmugglerhöhlen

Seefahrt und Handel an Chinas Küsten

Wer einen Arowana im Haus hat, ist ein gemachter Mann. Nach der chinesischen Lehre des Feng Shui mehrt der „goldene Drachenfisch“ den Reichtum seines Besitzers – zuweilen ins Unermessliche. Darum sind Arowanas beliebte Haustiere in Asiens Chefetagen. Bis zu 50 000 US-Dollar kann ein Exemplar des Süßwasserfisches leicht kosten; vor allem, wenn seine roten Schuppen mit einen goldenen Schimmer belegt sind. Hat der Fisch dann erst einmal im Aquarium eines Geschäftsmannes seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, steigt sein Wert. Für die Arowanas erfolgreicher Wirtschaftsbosse sollen schon Millionenbeträge geboten worden sein. Doch kaum ein Chinese würde seinen Arowana verkaufen. Es ist üblich, den Fisch – nachdem er gute Dienste geleistet hat – auszusetzen. Ihm seine Freiheit zurückzugeben.

Von der alten Verbindung zwischen Fischen und Reichtum erzählt auch ein Springbecken aus der Ming-Zeit im Kölner Museum für Ostasiatische Kunst. Das niedrige Bronzebecken mit breitem, flachem Mündungsrand hängt an zwei bogenförmigen Henkeln. Auf dem Boden des Gefäßes schwimmen vier Karpfen um ein zentrales Glückssymbol. Füllt man das Springbecken mit Wasser und reibt die Henkel mit den Handflächen, ertönt zunächst ein Summen. Bei weiterem rhythmischem Reiben gerät die Wasseroberfläche in Bewegung, bis schließlich Wassertropfen in die Höhe springen. Fontänen spritzen in die Höhe, die aussehen, als schössen sie direkt aus den Fischmäulern empor. Schon seit der Han-Dynastie sind diese Springbecken ein beliebtes Spielzeug, um das Glück herauszufordern. Denn wer es schafft, die Karpfen Wasser speien zu lassen, dem wird es hold sein. Nicht zufällig ist das chinesische Wort für „Fisch“ lautgleich mit der Bezeichnung für „Überfluss“.

Seinen Reichtum sucht und mehrt China schon seit dem Altertum über das Reich der Fische. Als Nomadenüberfälle die Seidenstraße als Handelsweg von China in den Vorderen Orient zunehmend unsicher machen, entsteht eine alternative Route über See: um die Südspitze Indiens herum bis in den Persischen Golf. Oft ist die Reise gefährlich. Nahe des Korallenriffs Batu Hitam – was so viel wie „Schwarzer Fels“ bedeutet – vor der indonesischen Küste bargen Archäologen 1997/98 ein Wrack. Seine Ladung: 67 000 Keramikobjekte, Gold, Silber, 30 Bronzespiegel, Kräuter und Gewürze, vor allem Anis. Einige der Gegenstände stammen sogar aus dem Besitz des Kaisers.

Keramikschalen, die aus Changsha stammen, tragen ein Herstellungsdatum: 16. Tag des 7. Monats des 2. Jahres der Baoli-Ära. In Europa schreibt man das Jahr 826. Vielleicht haben die Schalen noch einige Jahre gebraucht, bis sie über verschiedene Zwischenhändler, riesige Lagerhallen in der Stadt Yangzhou, nördlich des heutigen Shanghai am Delta des Yangze, und schließlich mit Hilfe von Kränen in den Laderaum des Schiffes gelangten. Aber mit dem Schiff auf den Meeresgrund sanken sie wohl tatsächlich nicht viel später, noch in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Damit ist es das älteste datierte Schiffswrack Asiens. Das Fahrzeug befand sich bereits auf der Rückfahrt – sein Heimathafen lag irgendwo am Persischen Golf. Küstenstädte wie Siraf dienen im Altertum als Umschlagplatz, hier laden Händler die Waren auf kleinere Schiffe oder Karawanen um, und verteilen sie nach Samarra, Basra oder Bagdad im heutigen Irak. Besonders die einfarbig glasierten Schalen erfreuen sich in Mesopotamien großer Beliebtheit. Sie ändern – so geht die Legende – ihre Farbe, wenn vergiftete Speisen sie berühren.

„Wir haben über einhunderttausend li des immensen Ozeans befahren und riesige Wellen bezwungen, die wie Berge bis zum Himmel ragten“, verkündet eine Steintafel an der Küste Südchinas. „Wir haben unseren Blick auf barbarische Länder geworfen, weit entfernt und verborgen hinter der blauen Transparenz dünner Nebelschleier, während unsere Segel, Wolken gleich, Tag und Nacht Kurs hielten, schnell wie ein Stern. Wir befuhren diese wilden Wellen als schritten wir über eine Straße.“ Zheng He ließ sie hier aufstellen, auf seiner letzten Reise. Der Eunuch prägte die Chinesische Seefahrt wie wohl kaum ein zweiter. Über zwei Meter groß, von gewaltigem Leibesumfang und mit mächtiger Stimme bot er Freund wie Feind schon von weitem einen imposanten Anblick. Dabei begann das Leben des Zheng He alles andere als erfolgreich. Er ist zehn Jahre alt, als chinesische Truppen den muslimischen Jungen nach einem Aufstand in seinem Heimatort in der Provinz Yunnan gefangen nehmen. Drei Jahre lebt er in der Sklaverei, dann schneidet sein Besitzer ihm Penis und Hoden ab und verkauft Zheng He an den Hof des Prinzen Zhu Di. Der Kaiserspross schließt Freundschaft mit dem verstümmelten Jungen, der seine Altersgenossen schon früh an Körpergröße überragt und niemals die typisch weibischen Züge anderer Eunuchen zeigt. Über viele Jahre begleitet Zheng He seinen neuen Herren auf dessen Kriegszügen. 1402 vertreibt Zhu Di seinen Neffen, den rechtmäßigen Erben, vom Drachenthron und reißt die Macht in China an sich. Mit ihm beginnt eine der kriegerischsten Phasen der ohnehin anfangs durch aggressive Außenpolitik geprägten Ming-Dynastie. Zur Expansionspolitik, die Zhu Di verfolgt, gehört auch die seetüchtige Flotte, die er zwischen 1404 und 1407 bauen lässt und seinem Freund Zheng He überlässt. Ein echter Vertrauensbeweis: Der Eunuch ist noch nie auf See gewesen.

Das Reich, über das der Hüne nun herrscht, ist die Drachenkralle Chinas: Eine Armada von vielen hundert Schiffen, die den Indischen Ozean kontrollieren. Von Vietnam und Thailand über Java, Sumatra und die Straße von Malakka über die Nikobaren und Adamanen bis hoch nach Bengalen (das heutige Kolkata) streckt das Reich der Mitte seine Klaue aus. Weiter noch in Sri Lanka und Calicut, in Hormus, Aden und Dschidda, sogar in Mogadischu, Brava und Malindi an Afrikas Ostküste sammelt die Pranke ein, was sie an Waren finden kann. Aus Hormus bringt Zheng He Saphire, Rubine, Perlen, Teppiche, Araberpferde, Löwen und Leoparden mit. In Afrika belädt er seine Schiffe mit Elfenbein und Ebenholz, Schwarzem Bambus, Kampfer, Weihrauch, Pfeffer, Gummi, Gewürze, Kupfer, Ginseng, edle Metalle und Jungfrauen für den Harem seines Herrn. In Indien ersteht er Kardamom und Zimt, Edelhölzer und Korallen, in Siam lebende Elefanten, Papageien, Pfaue und Eisvogelfedern. Aus Aden kommen Opale, Bernstein und Rosenwasser, aus Dschidda Aloe, Myrrhe und Benzoeharz. Im Malakka findet er eine Kuriosität, die Zhu Di besonders erfreut: Zehn Brillen – wahrscheinlich in Venedig gefertigt – für die kurzsichtigen Augen des Kaisers. Sogar Giraffen bringt Zheng He an Bord, als Beweis für die Allmacht Zhu Dis. Denn diese qilin, mythische Tiere, zeigen sich nach chinesischem Aberglauben nur, wenn ein weiser Herrscher die Erde regiert.

Damit die schwimmende Stadt aus roten Seidensegeln und bemaltem Holz reibungslos funktioniert, ist ein Heer von Spezialisten auf den Schiffen beschäftigt. Ein Astrologe beobachtet das Wetter und kümmert sich um den Kalender, ein Geomant sucht nach himmlischen Zeichen und legt Orakel aus. Zehn „Lehrer, die fremde Bücher kennen“ arbeiten als Dolmetscher. Gerüstbauer und Schmiede reparieren kleinere Sturmschäden auf der Stelle. Ein Trupp von 180 Ärzten und Apothekern sorgt für die Gesundheit der Besatzung und hat den Auftrag, an fremden Küsten nach Heilkräutern zu forschen. Die einfachen Matrosen hingegen, viele Tausend an der Zahl, leisten in Zheng He‘s schwimmender Stadt ihre Strafe ab – sie sind verurteilte Verbrecher. Sieben mal läuft der Eunuch in den Jahren zwischen 1405 und 1433 aus. Und sieben mal kehrt er erfolgreich nach Beijing zurück. Anschließend veröffentlichen er und seine Begleiter ihre Eindrücke und Erlebnisse. Bereits 1434 erscheint Zheng He‘s „Abhandlung über die barbarischen Königreiche des westlichen Ozeans“ (Xiyang languo zhi). Und noch 1451 berichtet sein Übersetzer und Freund, der Eunuch Ma Huan, von den „Wundern der Ozeane“ (Yingya shenglan). Dazu gehören ein Besuch in Mekka, den Ma Huan mit detaillierten Beschreibungen der Stadt schildert, ebenso wie die Geschichte vom blutsaugenden Vampir von Champa und dem König dieses Landes, dessen Gouverneure als Tribut menschliche Galle von seinen Untertanen eintreiben, worin der Herrscher zum Neujahrsfest zu baden pflegt.

1424 stirbt der Kaiser Zhu Di. Und nur neun Jahre später beschließt sein Nachfolger Xuande, der staatlichen Seefahrt ein Ende zu setzen. Am Ende des Jahrhunderts erklärt der Hongzhi Kaiser gar den Bau eines Schiffes mit mehr als zwei Masten zum Kapitalverbrechen und noch ein Vierteljahrhundert später verfügt der Hof, alle hochseetüchtigen Dschunken zu zerstören und die Besatzung zu verhaften. Nach 1551 dürfen selbst Küstensegler nur noch einen Mast führen. Zheng He gerät indessen nicht in Vergessenheit. Um den Eunuchen entsteht ein Kult, in dem seine Anhänger den gläubigen Moslem als Gott verehren. Bis heute stehen vereinzelt die Tempel, sanbo genannt, an den Küsten seines feuchten Reiches.

Niemand weiß, wie die Welt heute aussehen würde, wenn China weiterhin internationalen Seehandel betrieben hätte. Welche Macht das Reich der Mitte mit seiner beeindruckenden Flotte in fernen Häfen hätte ausüben können. Durch den Rückzug aus der Seefahrt entsteht um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein Handels-Vakuum an den chinesischen Küsten, das sich mit Schmugglern und Piraten füllt. Und mit Portugiesen. Als 1513 Jorge Alvares mit einer Expedition an der Mündung des Perlflusses landet, ist er der erste Europäer seit Marco Polo, der seinen Fuß auf chinesischen Boden setzt. Ursprünglich verfolgen die Portugiesen so fern im Osten nur das Ziel, die Kontrolle über den europäischen Gewürzhandel aus den Händen arabischer Händler zu reißen. Doch mit zunehmenden Erkundungen des Gebietes bestätigen sich die Berichte Marco Polos, und den Portugiesen dämmert die Erkenntnis: Das von dem Reisenden beschriebene fabelhafte Land ist Wirklichkeit. Der Warentausch mit Europa ist nur ein Bruchteil des reichen innerasiatischen Handels. Ladungen von Seide, Perlen und Porzellan wandern von Ost nach West, in der anderen Richtung handeln die Perser mit Teppichen, die Inder mit Baumwollstoffen, Borneo mit Gewürzen und Sandelholz. 1542 entdecken die Portugiesen das vorher unbekannte Japan, das an China Silber liefert. Portugal sieht zum ersten Mal die reichen Schätze des Orients. Und will seinen Teil.

Dazu müssen sie sich mit den Chinesen gut stellen. Die Portugiesen leihen dem Reich der Mitte ihre Kanonen, im Gegenzug dürfen sie 1557 an der Stelle, an der einst Jorge Alvares landete, eine Stadt gründen: Macao. Bald gleicht die Stadt einem Taubenschlag. Die portugiesischen naos, die größten und tüchtigsten Handelsschiffe ihrer Zeit, bringen Waren aus China nach Indien, segeln von dort mit Textilien nach Malakka, dann mit Gewürzen weiter nach Japan und kehren schließlich mit Silber, Schwertern und Fächern beladen in ihren Heimathafen zurück. Edelsteine aus Ceylon, Birma und Thailand, Batikware aus Java, Pfeffer, Muskat und Zimt von den Gewürzinseln und Textilien aus Bengalen schicken die Siedler im steten Strom nach Lissabon.

1600 zählt Macao bereits einige tausend Einwohner. Doch nur wenige Frauen zieht es in die laute, geschäftige, von Krieg, Piratenangriffen und Krankheiten gebeutelte Stadt. Die Portugiesen beginnen, sich auf dem einheimischen Heiratsmarkt umzusehen. Wer von den malakkischen, japanischen oder chinesischen Bräuten willig ist, sich zu Jesus Christus zu bekennen, gilt bereits als gute Partie. In Macao entsteht eine einzigartige ethnische und religiöse Mischung, welche die Stadt bis heute prägt. Doch die Nachbarn schielen neidisch auf den Reichtum der florierenden Handelsniederlassung. Drei mal greifen die Holländer Macao an, das erste mal 1607. Aus der Not heraus befestigen die Portugiesen ihre Siedlung, und können 1622 und 1627 weitere Angriffe abwehren. Doch 1641 fällt Malakka und damit der Gewürzhandel endgültig an die Holländer. Schon 1638 hatten die Chinesen den Portugiesen den Handel mit Japan untersagt. Ohne das Silber und die Gewürze wird Macao für China uninteressant. Der Hafen versandet, die Stadt verfällt zusehends im Elend.

Der blühende Seehandel zog schon seit jeher finstere Gestalten an wie der Käse die Maus. Für denjenigen, der ein Boot besitzt und sich in den oft tückischen Gewässern vor der Küste auskennt, ist es ein lukratives Geschäft. Die Handelsschiffe, randvoll beladen mit Seide, edlen Metallen und Keramik, sind durch ihr Gewicht träge. Ein flinkes Wendemanöver oder eine schnelle Flucht versuchen die Kapitäne oft gar nicht erst. Alle wollen ein Stück vom Handels-Kuchen abhaben: Koreaner, Vietnamesen, die Einwohner Malaysiens und Sumatras, Küstenchinesen – und Japaner. Nach ihnen haben die Chinesen das Piratenvolk benannt: egou, „Zwerge“. Unter diese Bezeichnung fällt ein buntes Sammelsorium von Freibeutern, Schmugglern, Söldnern, Strandräubern – und machmal ist auch ein angesehener Händler dabei. Wie Wang Zhi, der in der Mitte des 16. Jahrhunderts Geschäfte mit Japan, Luzon, Vietnam, Siam und Malakka betreibt. Neben seinen legalen Handelskontakten schmuggelt er Schwefel – für die Herstellung von Schießpulver -, Seide und Brokatstoffe, und fegt die Gewässer südlich von Kyushu so gründlich leer von chinesischen Schiffen, dass er bald den Spitznamen Jinghaiwang bekommt, „König der die Meere säubert“. 1557 gelingt es, ihn mit einem Trick nach Hangzhou zu locken, wo seine Häscher ihn ermorden. Allerdings haben die chinesischen Gesetzeshüter in diesen Jahren kaum den Kopf frei, sich um die Piraten-Plage zu kümmern. Viel pressierender sind die Mongolen, die von Norden aus unter Altan Khan in das chinesische Kernland einfallen. Jeder Versuch, die fast dreitausend Meilen chinesische Küste sichern zu wollen, muss zwangsläufig scheitern. Ein Embargo gegen Japan im Jahr 1530 verschärft die Situation. Wo jeder legale Handelsverkehr untersagt ist, blühen Schmuggel und Piraterie. Ihre Nester haben die Piraten in den Zhoushan-Inseln vor der Küste von Zhejiang, bei Xiamen und Quanzhou, in Chaozhou und den südlichen Inseln Japans. Fast die gesamte chinesische Küste zwischen Shandong im Norden und Quangdong ist fest in Piratenhand. Die Regierung muss machtlos zusehen. Der Versuch, mit konfiszierten Fischerbooten eine staatliche Patrouille zu bilden, scheitert kläglich. Bis heute stellt die Piraterie im Südasiatischen Meer eine Bedrohung für die internationale Seefahrt dar. Zwar heißt es von offizieller Seite, die Volksrepublik China bekämpfe die Freibeuter, doch nach wie vor fischen chinesische Staatsangehörige eifrig Tanker und Containerschiffe von der Meeresoberfläche.

Ein reges Piratenleben herrscht seit Alters her auf Taiwan. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts allerdings ist die Insel vor der chinesischen Küste noch weitgehend unbekannt. Eine gefährliche Brandung, Taifune und Sandbänke machen sie zu einem wenig attraktiven Landeplatz für die Schifffahrt, ihre Ebenen im Westen wimmeln vor Mücken, welche die gefährliche Malaria übertragen, und unfreundliche Ureinwohner steuern ihr Übriges dazu bei, Händler von den Stränden fern zu halten. Einzig die Felle der taiwanesischen Hirsche und vor allem deren Geweihe – zermahlen angeblich ein äußerst wirksames Aphrodisiakum – verlockt eine kleine Schaar chinesischer Kaufleute zur Gründung einer bescheidenen Handelsniederlassung im Südwesten der Insel. Nach und nach entdecken ganz unterschiedliche Gruppen Taiwan als Siedlungsort. Chinesische und japanische Piraten schätzen die Unwegsamkeit der umliegenden Gewässer. In den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts begeistern sich portugiesische Seefahrer und Missionare für das Eiland, das sie Ilha Formosa, „Schöne Insel“, taufen. Doch ihr Interesse ist flüchtig, die Portugiesen bleiben lieber in Macao. Die Spanier folgen ihnen auf den Fersen und gründen im Norden der Insel Keelung, einen kleinen Stützpunkt. 1624 kommen die protestantischen Holländer. Sie beanspruchen den Süden und bauen das Fort Zeelandia. Von dort aus räumen sie auf in Taiwan. In den nächsten 15 Jahren säubern sie die Insel sowohl von den katholischen Spaniern als auch weitgehend von japanischen Piraten und bringen einen einträglichen Handel in Schwung, der zwischen dem holländisch-ostindischen Imperium im heutigen Indonesien und den Beamten und Kaufleuten an der chinesischen Ostküste vermittelt.

Doch dann beginnen in den 40er und 50er Jahren auf dem fernen Festland die Machtkämpfe zwischen den Ming und den aufstrebenden Qing. Die Unruhen erschüttern auch die Küstenregion. In Amoy (Xiamen) residiert dort die reiche und mächtige Piraten- und Händlerfamilie Zheng. 1624 erblickt Zheng Chenggong das Licht der Welt, Sohn einer japanischen Mutter und dem Clanchef eines Handels-Imperiums, das von Nagasaki bis Macao reicht. Im weltgewandten Hause Zheng spricht man alle Sprachen des internationalen Warenverkehrs. Der Familiensitz gleicht einer Festung, zum inneren Wohnbereich ist nur vom Meer per Boot der Zutritt möglich. In der Kapelle hängt neben Buddha-Bildern ein Jesus am Kreuz. Die Leibwache des jungen Zheng Chenggong flösst jedem Fremden Furcht ein: Es sind schwarze, vor den Portugiesen aus Macao geflohene Sklaven. Zunächst steht das Familienoberhaupt auf Seiten der Ming, der verzweifelte Kaiser ernennt ihn sogar zum Beamten. Doch dann wendet sich das Blatt. Zheng Senior rechnet sich bessere Chancen bei den Qing aus und wechselt 1646 die Fronten. Sein 22 jähriger Sohn ist entsetzt. Er überwirft sich mit dem Vater und stellt den flüchtenden Ming seine eigenen Truppen und Schiffe zur Verfügung.

Fortan bekriegt Zheng Chenggong unter dem Namen Koxinga die Mandschu-Herrscher vor der Ostküste Chinas. Um seine Flotte zu finanzieren gründet er zehn Handelskompanien, die Seide, Luxuswaren und Zucker gegen Schiffsproviant und Pulver tauschen. Amoy wird zum internationalen Stapelplatz. Schließlich gelingt es den Qing mit Hilfe der Holländer, seinen Familiensitz zu umzingeln. Koxinga kontert, indem er nun seinerseits die holländische Festung Zeelandia auf Taiwan belagert. Das Umland fällt ihm sofort in die Hände, er tötet die holländischen Siedler und verkauft ihre Frauen in die Sklaverei. Doch das Fort bleibt standhaft – neun Monate lang. Erst im Februar 1662 fällt die Festung. Koxinga hat gewonnen. Nicht nur seine Freiheit, sondern auch Handelswaren und Bargeld im Wert von schätzungsweise über einer Million Unzen Silber. Der politisch ambitionierte Piratensohn ist auf dem Höhepunkt seiner Macht – doch alles andere als glücklich. Schon früh hatten die Qing seine Mutter ermordet, um dem Aufständischen eine empfindliche Lektion zu erteilen. Nun erhält Koxinga die Nachricht, dass seinen Vater und seine Brüder das selbe Schicksal ereilt hat. Er versinkt in Depressionen und lässt seine Stimmungsschwankungen brutal an seiner Umwelt aus. Der Despot prügelt wahllos seine Angestellten, traktiert immer wieder auch die eigenen Kinder mit Gewalt – bis er am Ende des Jahres stirbt.

Koxingas Nachkommen übernehmen die Geschäfte und bauen Taiwan zum Zentrum eines prosperierenden Handelsimperiums aus. Unter ihrer Leitung produziert eine durch Emigration und Flucht vom Festland auf über 100000 Menschen angewachsene chinesische Bevölkerung gewaltige Mengen Reis und Zuckerrohr und macht beachtliche Geschäfte mit Salz, raffiniertem Zucker und Schiffbau. Der Kaiser Kangxi ist machtlos gegen die Rebellen. Bis ihm der geeignete Mann in die Hände fällt, um die Zheng-Familie endgültig zu zerschlagen. Shi Lang war einst Admiral in der Flotte von Koxingas Vater. Doch durch Verrat zwischen den Fronten verlor er in einem Racheakt Vater, Bruder und Sohn an die scharfen Messer von Koxingas Soldaten. Shi Lang kennt seit dem nur ein Ziel: Alle Angehörigen des Piratenfürsten auszulöschen. Dazu gewährt ihm Kangxi 300 Kriegsschiffe. Anfang Juli 1683 sticht der Admiral in See und zermalmt in blinder Wut schon kurz darauf die Zheng-Streitkräfte auf der Inselgruppe Pescadores. Drei Monate später ergibt sich Taiwan. Kangxi zeigt Milde: Er adelt sogar einige Mitglieder der Zheng-Familie und gestattet ihnen, sich in Beijing niederzulassen. Die nun arbeitslos gewordenen Soldaten beider Heere verlegt der Kaiser nach Nordchina, damit sie dort die Grenze gegen die Russen sichern.

Kangxi versucht Taiwan mit Handelsbeschränkungen und Einwanderungskontrollen klein zu halten. Doch die Repressionen bestärken nur weiterhin die Piraterie und die illegale Übersiedlung vom Festland. In der Folge dieser Politik wandern immense Summen in die Taschen bestechlicher Küstenbeamter. Schon Anfang der 80er Jahre soll der chinesische Leibeigene Wu Xingzuo, der die Stufenleiter der Bürokratie dank der Beziehungen seines Vaters erklommen hat, Bestechungsgelder von weit über 10 000 Unzen Silber gezahlt haben, um den Posten des Generalgouverneurs von Guangdong und Guangxi und damit die Oberaufsicht über den größten Teils des Kantoner Außenhandels zu erlangen. Auch die Zahlungen derer, die von der Küste auf die Insel übersiedeln wollen, sind ein einträgliches Geschäft. Die chinesische Küstenprovinz Fujian ist bis heute ein Ort geblieben, den viele Einwohner so schnell als möglich verlassen wollen. Große Auswandererströme gingen nach Nordamerika und bauten dort die Eisenbahn. Und wenn heute Chinesen an die Strände Europas gespült werden, oft tot vor Erschöpfung oder erstickt in den Containern, in denen sie sich als blinde Passagiere versteckt hielten, so stammen die meisten von ihnen aus Fujian.

Die Volksrepublik betrachtet Taiwan heute als abtrünnige Provinz, während die Insel selber sich in der rechtmäßigen Nachfolge der Republik China von 1911 sieht. Zwischen 1885 bis 1945 ist Taiwan unter japanische Besatzung. Die Qing müssen die Insel 1895 nach einer verheerenden Niederlage an Japan übergeben. Erst nach dem Ende des zweiten Weltkriegs fällt Taiwan wieder an China zurück. Im Reich der Mitte entbrennt aber nach dem Ende der Einheitsfront der Kommunisten und Nationalisten der Bürgerkrieg. Der Nationalist Chiang Kaishek (oder in hochchinesisch Jiang Jieshi) flieht vor den Truppen Mao Zedongs mit nationalchinesischen Truppen – und Schätzen des Kaiserpalastes – nach Taiwan. Dort errichtet er eine Militärdiktatur, die 1986/1987 in eine demokratische Bewegung übergeht. Seitdem gilt Taiwan als demokratisch. Aus der Sicht Beijings ist die Insel allerdings weiterhin ein Teil der Volksrepublik China – wenn auch ein „Rebellennest“, wie bereits vor vierhundert Jahren.

Dieser Text diente als erste Vorlage für die Fernsehproduktion „Gigant der Meere – Die Drachenflotte des Admiral Zheng He“.

Produziert von Gruppe 5 für ZDF, ZDF-E, ARTE, Science Channel, RAI, SF DRS / YLE / SBS, in Kooperation mit CCTV und CITVC.

Den Trailer auf der Webseite der Gruppe 5 ansehen»

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