Die Neandertaler waren versierte Jäger. Vom Fuchs bis zum Waldelefanten – gejagt und gegessen wurde, was die Wälder boten.
Manchmal trifft man beim Waldspaziergang ein Reh. Dann: ein unvorsichtiger Schritt, ein knackender Zweig, ein verschreckter Blick aus den Bambiaugen und mit wenigen Sprüngen ist das Wild im Unterholz verschwunden. Jeder, der schon einmal eine solche Begegnung hatte, kann sich vorstellen, wie schwierig es sein muss, ein Reh zu erlegen. Doch die Neandertaler waren versierte Jäger.
Die ältesten bekannten Jagdwaffen Mitteleuropas stammen aus einem Braunkohletagebau bei Schöningen im Harzvorland und sind etwa 400 000 Jahre alt. Schon der Homo heidelbergensis ging also mit dem Speer auf Jagd. Der Ort muss günstig gewesen sein: Die Skelette tausender von Großsäugern, darunter allein 19 komplett erhaltene Pferdeschädel, erzählen von dem regen Wildverkehr an dieser Stelle. Die Speere aus Fichtenholz sind zwischen 1,60 und 2,60 Meter lang und haben einen maximalen Durchmesser von drei bis fünf Zentimetern. Forscher am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Heidelberg stellten in Wurfversuchen mit originalgetreuen Nachbauten fest, dass die Waffen ausgezeichnete Flugeigenschaften besaßen – die in etwa denen moderner (Damen-)Wettkampfspeere entsprechen. Es handelt sich bei den Fundstücken also um effektive Langstreckenwaffen mit großer Reichweite und hoher Durchschlagkraft.
Ebenfalls aus einem Braunkohlerevier im Harzvorland, aus Neumark-Nord, stammen Steinartefakte, mit denen mittelpaläolithische Jäger vor 220 000 Jahren ihre Jagdbeute zerlegten. Hier erstreckte sich einstmals ein See, der Großtieren wie Waldelefant, Nashorn, Auerochse und Bison, Wildpferd, Rot- und Damhirsch, Bär, Löwe, Hyäne, aber auch Wolf und Fuchs als Tränke diente. Insgesamt bargen die Archäologen die Reste von etwa 30 Elefanten, zwischen ihren Knochen steckten noch die Steinwerkzeuge, mit denen unsere Vorfahren die Kadaver zerteilten.
Während der Eem-Warmzeit vor zirka 130 000 Jahren – der Klimaperiode, der das Rehkeulenrezept entstammt – herrschte ein wärmeres und feuchteres Klima als heute. Dichte Laubwälder breiteten sich aus. In ihnen lebten Waldelefanten, Damhirsche, Auerochsen und Wildschweine. In den Grasauen weideten Pferde, Wisente und Nashörner. Es war das letzte Zeitalter, in dem wilde Elefanten durch Mitteleuropa stapften. Einen ausgewachsenen Bullen von etwa 4,20 Meter Höhe erlegten Neandertaler nahe der heutigen Stadt Gröbern in Sachsen-Anhalt. Als Archäologen ihn 125 000 Jahre später fanden, war sein Skelett noch mit 27 Steinartefakten gespickt: einfachen Klingen, die schnell geschlagen und nach einmaligem Gebrauch liegen gelassen wurden.
Auch in Lehringen nahe dem niedersächsischen Verden wurde ein Waldelefant Opfer von Neandertalern. Zwischen seinen Rippen steckte eine etwa 2,40 Meter lange Lanze aus Eibenholz, deren Oberfläche sorgfältig geglättet war. Im Gegensatz zu den groben Klingen handelt es sich hier also um eine Waffe, die mit Zeitaufwand hergestellt wurde. Warum der Jäger sie nicht wieder aus dem Fleisch herauszog, können wir heute nicht mehr wissen.
Wie also kam das Reh, das ja kein Waldelefant ist, auf den Bratspieß? Es ist klein und flink, was eine Jagd in Gruppen schwierig und ein Umzingeln fast unmöglich macht. Die Lauer an einem Wildwechsel oder einer Tränke bot wohl die besten Chancen, nahe heranzukommen. Die Speere mussten dann kurz und leicht sein, damit sie aus dem Gestrüpp heraus geworfen werden konnten. Mit ein wenig Glück wuchs im Unterholz auch gleich ein Wacholderstrauch.
Erschienen in der Reihe Ars Vivendi, Abenteuer Archäologie 3/2004.