In ihrem Bemühen, für die Olympischen Spiele 1936 eine direkte Parallele vom antiken Griechenland zum nationalsozialistischen Deutschland zu ziehen, griffen Regisseurin Leni Riefenstahl und der deutsche NOK-Generalsekretä r Carl Diem tief in die Trickkiste – und weit daneben
Ein Fest der Superlative sollte es werden. Für das junge Nazideutschland bot die Austragung der Olympischen Spiele im Jahr 1936 eine einmalige Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren: der Welt zu zeigen, wie modern – und doch unverändert tief verwurzelt in antiken Traditionen – das Reich aus dem großen Krieg hervorgegangen war. Das Propagandaministerium musste nicht lange suchen, um für dieses Ereignis den passenden Chronisten zu finden. Nur zwei Jahre zuvor hatte die Regisseurin Leni Riefenstahl mit „Triumph des Willens“ einen Dokumentarfilm über den NSDAP-Parteitag in Nürnberg vorgelegt, der völlig neue Wege der Filmkunst beschritt.
Propagandaminister Joseph Goebbels war Riefenstahls neues Film-Projekt 1,5 Millionen Reichsmark wert, die an eine eigens von der Regisseurin zu diesem Anlass gegründete Produktionsfirma, die Olympia-Film GmbH, flossen. Mit diesem finanziellen Polster ausgestattet, stürzte sich die junge Filmemacherin in die Arbeit. Über 150 Kameraleute und Techniker belichteten rund 400 000 Meter – über 200 Stunden – von drei unterschiedlichen Arten schwarz-weiß Film: Agfa für die Architektur-Aufnahmen, Kodak für Porträts und Perutz für Grassflächen. Zu einer Zeit, als Stummfilme noch die Regel waren, setzte Leni Riefenstahl mit dem Einsatz von Zeitlupe, Unterwasseraufnahmen, Vogel- und Froschperspektive sowie Schienen zur erschütterungsfreien Verfolgung von Läufern neue, zum Teil noch heute gültige Standards für das Filmen von Bewegungsabläufen.
Die Olympia-Dokumentation, aufgeteilt in die zwei Folgen „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“, beginnt an der Wiege der Spiele im antiken Griechenland. Die Kamera führt den Zuschauer zunächst durch menschenleere Tempelruinen. Als dramatisches Element, das Antike und Gegenwart verbindet, wählt Leni Riefenstahl den Fackellauf von Olympia nach Berlin. Doch bereits hier stößt die Neuinterpretation antiker Rituale für moderne Zwecke schmerzhaft an ihre Grenzen. Die Idee, das olympische Feuer von Staffelläufern zum Austragungsort der Spiele bringen zu lassen, stammt keinesfalls von den Griechen. Vielmehr wurde der Feuerlauf erst für die Spiele von 1936 in Berlin erfunden – von Carl Diem, seinerzeit Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees (NOK). Inspirieren ließ sich Diem nach eigener Aussage von einem Relief im römischen Palazzo Colonna, auf dem kleine Engelchen, so genannte Eroten, Liebespfeile abschießen und sich Fackeln überreichen. Dieses – wie Diem es interpretierte – Entfachen der Liebesglut kombinierte der Generalsekretär mit dem klassischen Staffellauf. So sollte das heilige Olympische Feuer durch die Welt getragen werden und die Nationen „anstecken“.
So spektakulär sich Diems Idee auch annimmt, so ist sie doch eine eher peinliche Missinterpretation antiker Bildsprache. Denn Fackeln stehen nicht etwa nur für heißes Verlangen, sondern wurden häufig als Symbole des Totenkultes verwendet. Nichtsdestotrotz berührt die Filmszene, als am 20. Juli 1936 um 12 Uhr Mittags 13 Mädchen in antik gehaltenen Gewändern mit einem von Zeiss/Jena hergestellten Hohlspiegel die Flamme entfachen. Den Lauf der Staffel zeichnet Riefenstahl auf einer Landkarte nach. Die echten Bilder von den Zwischenstationen der Läufer hätten sich auch nur bedingt für einen Propagandafilm geeignet.
Zwar standen – gerade an den letzten Orten auf deutschen Boden – Hitlerjugend und Anhänger des Nationalsozialismus mit Fahnen Spalier, doch die Front der Begeisterung war oft dünn. In der Tschechoslowakei hatten schon im Vorfeld die Ankündigungsplakate des Fackelzuges Missstimmung ausgelöst: Auf der Europakarte mit der Route des Feuers waren Teile des Sudetenlandes bereits dem Deutschen Reich eingegliedert. Entlang der tschechischen Strecke kam es zu Demonstrationen. Ihren Höhepunkt erreichten die Proteste schließlich in Prag. Hier gelang es aufgebrachten Tschechen sogar, die olympische Flamme zu löschen.
In Riefenstahls Film sieht man nichts von alledem. Dem Fackellauf folgen, ebenfalls in Rückbesinnung auf vermeintliche antike Ideale, Nahaufnahmen griechischer Skulpturen – und hier wird die Authentizität vollends zum Opfer der Ästhetik. Leni Riefenstahl will mit ihren Aufnahmen griechischer Jugend ein Körperideal heraufbeschwören, dessen Kontinuität sie von der Antike bis in die Gegenwart sieht. Doch die Beispiele, die sie dafür wählt, sind keine Athleten. Neben den Gesichtern von Göttern ist es immer wieder der so genannte „Barberinische Faun“, auf dem sich die Kamera ausruht – ein volltrunkener Satyr, der im Rausch auf einem Felsen eingeschlafen ist. Ausschlaggebend für die Wahl dieser Statue war wohl weniger ihre Aussage als vielmehr Riefenstahls Vertrautheit mit ihrem Anblick: Der Faun steht noch heute in der Glyptothek in München. Mit der Statue des Diskuswerfers des griechischen Bildhauers Myron beendet Riefenstahl den Reigen und blendet über auf den Zehnkämpfer Erwin Huber, der die antike Pose muskelgenau nachstellt.
Leni Riefenstahl, die erst im letzten Jahr im Alter von 101 Jahren verstarb, betonte Zeit ihres Lebens, dass ihr Hauptanliegen in dem Filmprojekt „Olympia“ die ästhetische Darstellung des Sportlerkörpers war. Mit dieser Argumentation versuchte sie sich gegen den Vorwurf der Unterstützung des Hitlerregimes zu wehren – was ihr nie völlig gelang. Für ihre Unabhängigkeit von den Ideen des Führers spricht allerdings, dass sich die streitbare Dame in ihr Ästhetikempfinden weder von ihrem Geldgeber, Propagandaminister Joseph Goebbels, noch von Hitler persönlich hineinreden ließ. Geradezu verliebt folgt ihre Kamera dem Muskelspiel der beiden erfolgreichen schwarzen Athleten Jesse Owens und Ralph Metcalf. Owens gewann 1936 vier Goldmedaillen: 100 Meter-Lauf – gleichauf mit dem bestehenden Weltrekord, 200 Meter-Lauf, 400 Meter-Staffel – neuer Weltrekord – und Weitsprung; Ralph Metcalf holte ebenfalls Gold im Staffel-Team. Die beiden entsprachen mit ihrer Hautfarbe ganz und gar nicht dem Schönheitsideal der Nazis. Sicherlich ist „Olympia“ als so genannte „weiche“ Propaganda zu verstehen, feiert der Film doch das Ausrichterland Deutschland, wie auch Hitler es bereits in „Mein Kampf“ getan hatte, als direkten Erben der griechischen Hochkultur.
Leni Riefenstahls Meisterwerk wirkte bahnbrechend in der Filmtechnik unabhängig vom politischen Hintergrund. Entsprechend war der internationale Applaus: 1937 bekam „Olympia“ die Goldmedaille von Paris, im folgenden Jahr setzte er sich bei den Filmfestspielen von Venedig gegen Walt Disneys „Schneewittchen und die Sieben Zwerge“ als bester Film der Welt durch. Noch 1939 verlieh ihm das Internationale Olympische Komitee eine Goldmedaille. Premiere war am 20. April 1938 im Ufa-Palast am Berliner Zoo – als Geschenk zum 49. Geburtstag des Führers, der selber im Publikum saß. Für ihren Film hatte sich Leni Riefenstahl nicht nur mit dem Platz hinter der Kamera begnügt. Die ehemalige Schauspielerin, die bereits in den 1920er Jahren in Bergfilmen („Die weiße Hölle von Piz Palü“) an der Seite von Luis Trenker gestanden hatte, gab für ihr Meisterwerk alles: Sie ist als nackte Tänzerin in den ersten Sequenzen des Films selbst auf der Leinwand zu sehen.
Erschienen in Abenteuer Archäologie 03/2004.