Die römischen Kaiser taten es. Napoleon tat es. Die britischen Könige und Königinnen taten es ebenso wie die amerikanischen Präsidenten. Und Saddam Hussein tut es auch – perfekt sogar. Bauen. Errichten, schaffen, vorzeigen, protzen. Prunkvolle Bauwerke errichten, wo das Volk hungert. Macht demonstrieren mit der Sprache der Architektur. Saddam Hussein ist ein Meister dieser Disziplin der Herrscherkunde.
15 Meilen vor den Toren Bagdads ragen die acht Minarette der „Mutter aller Schlachten“-Moschee in den Himmel, benannt nach dem nie gesiegten Sieg im Golfkrieg. Die vier großen Minarette, geformt wie die Scud-Raketen, die Hussein 1991 auf Israel abfeuern liess, komplett mit Nachbildungen der Abschussrampen, sind 37 Meter hoch. 28 Meter die vier kleinen, die wie überdimensionale Maschinengewehrrohre geformt sind. 37 – 4 – 28. Die Zahlenkombination bildet ein historisch bedeutsames Datum. Am 28. April 1937 wurde ein Kind mit Namen Saddam Hussein geboren.
Im Inneren der Moschee liegt ein Schatz. Eine Abschrift des Koran, 605 Seiten stark. Doch nicht geschrieben mit gewöhnlicher Tinte, sondern mit dem Blut des Herrschers. Saddam Hussein soll, so der Informationschef der Moschee, Dahar Al-Ani, 28 Liter seines Lebenssaftes dafür geopfert haben. Drei Jahre lang ließ er zur Ader bis genügend Blut vorhanden war für alle Worte des Propheten. Das herrscherliche Blut wurde mit Chemikalien aufbereitet bevor Schreiber ihre Federn hinein tauchen und die Seiten des kostbaren Buches damit füllen durften. Und nicht nur im Inneren, auch am Äußeren der „Mutter aller Schlachten“-Moschee benutzt Saddam Hussein die Macht der Worte. Ein feindlicher Pilot wird bei Luftangriffen auf Bagdad ein riesiges „La“ – „Nein“ – auf der Kuppel der Moschee lesen können – eine klare Ansage Husseins an die Amerikaner.
Ergänzt wird das Ensemble durch eine riesige Reliefkarte aus Wasser und Stein. Sie zeigt die arabische Welt, in deren Mitte sich majestätisch ein ruhender Felsen erhebt – der Irak. In dessen Oberfläche ließ der Diktator die Gesichter von „Märtyrern“ hauen, die im Golfkrieg ums Leben kamen. Die Botschaft dieser Trinität von Moschee, Koran und Karte an den Rest der Welt soll nach offiziellen irakischen Angaben sein, dass der Irak den Mittleren Osten auch weiterhin gegen den amerikanischen und britischen Imperialismus verteidigen wird. Der Irak, so Premierminister Tarik Aziz, könne nicht so ohne weiteres in die technologische Steinzeit zurückgebombt werden – von dieser Stärke sollen die monumentalen Bauwerke Saddam Husseins erzählen.
Und noch einen weiteren Zweck erfüllt der Neubau von Moscheen, von denen der Herrscher seinem Land jedes Jahr zum eigenen Geburtstag eine neue schenkt. Sie sollen den rebellierenden Schiiten im Süden des Landes vorgaukeln, wie tief religiös auch ihr Führer ist. Im Rahmen seiner „Glauben-Kampagne“ ließ er, selber der Gemeinschaft der Sunniten zugehörig und von Haus aus nicht streng religiös erzogen, den Alkohol verbieten und forderte dazu auf, es ihm gleich zu tun und im ganzen Land Moscheen zu errichten. Das kolossalste Projekt seiner Glaubens-Kampagne ist die Saddam-Moschee, die derzeit an der Zubringerstraße zum Bagdader Flughafen errichtet wird. Geplant als vergrößerte Ausgabe der „Mutter aller Schlachten“-Moschee wird sie einst die drittgrößte der Welt sein – nur noch übertroffen von den kolossalen Bauwerken in Mekka und Medina.
Unlängst wurde in der Zeitung „Bagdad Observer“ beklagt, dass wegen der Sanktionen der Allierten im aktuellen Fünfjahresplan nur 22 der vorgesehenen 3973 Schulen gebaut werden konnten. Für die Architektur des Führers reicht das Geld aber allemal. Und wer der Armut entfliehen will, kann sich mit dem Fahrstuhl hoch über das Elend der Großstadt Bagdad hinaus in das rotierende Luxusrestaurant an der Spitze des „Saddam-Tower“ zurückziehen. Wem das Geld dazu fehlt, der kann sich immer noch von Saddam Husseins Siegesmonumenten inspirieren lassen. Zum Beispiel von dem Triumphbogen, der sich nahe den Toren Bagdads über die Einfahrtsstraße spannt. Zwei riesige gekreuzte Klingen bilden die Durchfahrt und erinnern den Betrachter an den Krieg gegen den Iran. 24 Tonnen wiegen diese Klingen. 24 Tonnen Stahl, gewonnen aus den eingeschmolzenen Gewehren getöteter iranischer Gegner, die Sockel dekoriert mit ihren zerschossenen Helmen. Natürlich sind die beiden Riesenfäuste, die die gewaltigen Klingen sicher führen, getreue Nachbildungen derer des Herrschers.
Saddam Hussein liebt das Spiel mit Symbolen. Ein amerikanisches Geschoss, dass während des Golfkrieges ein Telekommunikationsgebäude in Bagdad traf, ließ er ebenfalls einschmelzen. Aus den Teilen des feindlichen Projektils wurden die schmerzverzerrten Gesichter der Anführer der anti-irakischen Liga geformt. Nun winden sich in einer Statuengruppe George Bush Sen. und Margaret Thatcher mit Gesichtern aus Granatenstahl zu Füßen des triumphierenden Saddam Hussein. Ehrenstatuen des Diktators, „Murals“ genannt, gehören zur neuen Ausstattung des Irak ebenso dazu wie prunkvolle Gebäude. Für die Stadt Bagdad ist es das erste Mal seit 11 Jahrhunderten, dass sie mit Statuen eines Regierenden geschmückt wird. Hier zeigt sich, dass trotz aller Kampagnen für den Glauben Saddam Hussein vor allem eines ist: ein Machthaber. Denn der Islam sieht keine Ehrenstatuen vor. Im Gegeteil – er lehnt die Darstellung von Menschen ab.
Erschienen als Teil der Serie Von Babylon bis Bagdad, stern 11/2003