Aristoteles war stets dagegen gewesen. Verständnislos hatte er den Kopf geschüttelt, wenn die Augen seines Schülers Alexander aufleuchteten, sobald er über die Perser sprach. Ausgerechnet diese Barbaren, die einst die Akropolis, in Schutt und Asche gelegt hatten, übten auf Alexander eine magische Wirkung aus. Doch das, so predigte Aristoteles, dürfe noch lange kein Grund sein, sie den Griechen gleichzustellen. Zu anders, zu fremdartig seien sie, eine gänzlich verschiedene Art von Menschen. Alexander aber wollte nicht hören.
Sein kleines Makedonien war nur ein Stück dreckige Provinz im Vergleich zu dem Großreich Persien, das in seiner uralten Kultur ruhte. Er begann, je mehr Städte und Provinzen er den Persern abtrotzte, ihre Kultur anzunehmen, sie zu intergrieren, einzuverleiben. Anfangs waren es nur einzelne Posten in seiner Umgebung, die er mit Persern besetzte. Doch dann wurden es immer mehr Perser, die bald auch hohe Ränge im makedonischen Heer und in der Leibgarde Alexanders einnahmen. Und schließlich untersagte er sogar seinen engen Vertrauten, ihm zwanglos gegenüberzutreten. Wie ein persischer Großkönig wollte er behandelt werden. Auf den Boden solle man vor ihm fallen, ihm Respekt zollen, ihn verehren. Die Perser dankten es ihm. Reihenweise ergaben sich ihm die Städte.
Nach der entscheidenen Schlaht gegen den persischen König Dareios floh dieser Hals über Kopf und ließ seine gesamte Familie in die Hände Alexanders fallen – Mutter, Ehefrau und Kinder. Alexander passte sich den persischen Gepflogenheiten an. Statt Dareios Familie zu ermorden, behandelte er sie voller Respekt. Zu den Aufgaben eines neuen Herrschers in Persien gehörte auch die Übernahme des Hofstaates – und des Harems des alten Königs. Statira, die Frau des Dareios, starb zwei Jahre nach ihrer Gefangennahme im Kindbett. Als Vater des Kindes kam der persische Herrscher auf keinen Fall in Frage – vielmehr ihr neuer Herr und Meister, der sie nach persischem Maßstab rechtmäßig erobert hatte.
Offiziel war Alexander immer noch nicht verheiratet. Vielleicht wollte er gar nicht. Vielleicht teilte er sein Lager lieber mit seinem Freund und Gefährten Hephaistion. Doch Alexander brauchte etwas, das ihm Hephaistion nicht geben konnte. Einen Erben. Auf dem Weg nach Indien eroberte er 327 eine Bergfestung. Unter den Gefangenen, die bei dieser Schlacht gemacht wurden, befand sich ein sechzehnjähriges Mädchen: Roxane, Tochter eines persischen Adligen. Auf sie fiel die Wahl des Makedonenherrschers. Dieser Bund sollte festigen, was er bereits mit der Aufnahme von Persern in hohe Positionen in Heer und Verwaltung und der Übernahme persischer Bräuche begonnen hatte – die Vermischung makedonischer und persischer Elemente zu einer eigenen Kultur. Wie weit Alexander diese Symbiose treiben wollte, wußte nur er selbst. Seine Soldaten unterstellten ihm, er wolle die Perser über die Makedonen erheben, zeitweise kam es sogar zu Meutereien. Alles, was wir mit Sicherheit wissen, ist, daß Alexander gegen den Rat seines Lehrers Aristoteles handelte.
Als Alexander aus Indien zurückkehrte, war aus der Tochter des Dareios eine heiratsfähige Frau geworden. Die erste Generation von Alexanders Experiment der Völkerverschemlzung war herangewachsen und bereit für die Zukunft. Die sollte in Susa beginnen. Er selber und 80 seiner Gefährten sollten sich mit der Töchtern des persischen Adels vermählen, und die Kinder, die aus diesen Ehen hervorgingen, würden das Erbe beider Kulturen in sich tragen. Alexander nahm Barsine zur Frau und zusätzlich noch die Tochter des Artaxerxes III Ochus, Parysatis. Barsines Schwester Drypetis gab er seinem Freund Hephaistion – ihre Kinder sollten so Cousins und Cousinen sein. Die Hochzeit wurde nach persischem Brauch gefeiert. Alle Bräutigamme saßen aufgereiht auf Stühlen, dann kamen die Bräute herein. Eine jede setzte sich zu ihrem Mann und Alexander begann mit der Zeremonie. Nach Hause nahm jeder Makedone nicht nur seine Braut, sondern auch eine hohe Mitgift, mit der Alexander eine jede der persischen Frauen ausgestattet hatte. Weiterhin ließ er sich eine Liste der Männer seines Heeres kommen, die bereits vorher eine Perserin geheiratet hatten – darauf standen über 10 000 Namen. Auch diese Paare erhielten von ihm großzügige Geschenke.
Lange hielt jedoch nicht, was in Susa geschlossen wurde. Bereits gut ein Jahr nach der Zeremonie war Alexander tot. Wahrscheinlich war Barsine zu dem Zeitpunkt schwanger, sie wurde kurz nach dem Ableben Alexanders von Roxane ermordet. Die trug selber einen Erben Alexanders unter dem Herzen und der sollte durch keinen Nebenbuhler in Gefahr geraten. Doch auch Roxanes Sohn sollte nie den makedonischen Thron besteigen. Noch bevor er dem Kleinkindalter entwachsen war, wurde er zusammen mit seiner Mutter ermordet.
Erschienen als Teil der Serie Von Babylon bis Bagdad, stern 08/2003