Kaiser Caligula tobte. Wieder einmal war sein Verwalter Vespasian den Pflichten der Straßensäuberung nicht nachgekommen. So war der Saum seiner Toga, des Gewandes des Herrschers über das ganze große Imperium Romanum, nach einer Stadtbegehung voll von Schmutz und Dreck und Unrat, beschmiert mit den Hinterlassenschaften des gemeinen niederen Volkes. Caligula befahl seinen Soldaten, einige Eimer dieses Mülls von der Straße zu schöpfen und dem armen Vespasian über die eigene Toga zu schütten.
Diese Anekdote über den Kaiser Caligula und den damals noch sehr jungen späteren Herrscher Vespasian überliefern die römischen Schriftsteller Sueton und Cassius Dio. Auch wenn Caligula penibel darauf bedacht war, seine kaiserliche Toga blütenrein zu halten, hatte Vespasian als Verantwortlicher für die Müllbeseitigung in der Hauptstadt des Imperium Romanum kaum eine Chance, dies zu gewährleisten. Zwar können in unserer Vorstellung nach wie vor zwischen den Marmorsäulen keine Müllberge liegen, kann es dort, wo Skulpturen stehen, nicht stinken. Römische Abwässer flossen in die cloaca maxima, und was darüber hinaus noch zu riechen drohte, wurde mit frischem Wasser aus den vielzähligen Aquädukten weggespült. Doch mit dem Mythos eines sauberen Rom hat nun der Salzburger Althistoriker Günther E. Thüry gründlich aufgeräumt. Zum ersten Mal widmet sich mit der Arbeit Thürys eine wissenschaftliche Studie einzig und allein den menschlichen Abfallprodukten der Antike. Er steckte seine Nase tief in den Dreck des römischen Reiches und zog sie auch dort nicht zurück, wo der Geruch bisweilen unerträglich wurde.
Mit Gesetzen und Warnhinweisen wurde versucht, der Müllmassen Herr zu werden – meist jedoch vergeblich. So gab es ein Gesetz, das den Schadensfall durch Entleeren von Unrat aus dem Fenster auf die Straße regelte. Die Entsorgung von Abfall auf diesem Weg verbot das Gesetz nicht – nur Treffen durfte man dabei niemanden. Es konnte also durchaus passieren, im Spaziergang durch die Straßen Roms von heruntergeworfenem Müll erschlagen zu werden. Für diesen Fall sah das Gesetz eine Strafe von 50 Aurei vor – eine Summe, von der ein einfacher Bürger über fünf Jahre lang leben konnte.
Nein, stubenrein waren sie wirklich nicht, die alten Römer. Um vor die Haustür zusätzlich zu dem eigenen Müll nicht auch noch fremden Abfall – bevorzugterweise eilig auf der Straße verrichtete Nordürfte – gelegt zu bekommen, drohten viele Hausbesitzer den Notdürftigen auf selbstgemalten Schildern mit drastischen Strafen. Eine besonders rabiate Drohung aus der römischen Provinz, dem serbischen Kostolac, warnt den Erleichterungsbedürftigen: „Welcher Hintern eines mißgünstigen Mitbürgers sich hier entlädt: du wirst…“ – dahinter ist ein großer Phallus gemalt. Um die Straße überqueren zu können, ohne sich den Saum der Toga einzusauen, erfanden die Pompeijaner eine Art Zebrastreifen. Hohe, abgeflachte Steine, die quer über die Straße von einem Bordstein zum anderen verlegt waren, ermöglichten einen Wechsel trockenen Fußes auf die gegenüberliegende Straßenseite. Die Pompeijaner waren so begeistert von dieser Erfindung,daß sie an 113 Stellen der Stadt Zebrastreifen verlegten. Daß nicht viele römische Städte diesem Vorbild folgten, ist allerdings leicht verständlich: Ein Wagen konnte diese Fußgängerüberquerungen kaum passieren.
Auch innerhalb der Häuser ließ es sich, schaut man sich die Ergebnisse von Ausgrabungen römischer Häuser an, des Unrats kaum Herr werden. Nicht selten war das stille Örtchen alles andere als still, sondern lag ganz ungeniert direkt in der Küche. Die antiken Küchen sind eine wahre Fundgrube für den archäologisch interessierten Müllsucher. Küchenabfälle wurden oft einfach auf den Boden geworfen und wurden entsorgt, indem man sie in den gestampften Lehmboden eintrat. Als die Archäologin Elisabeth Schmid sich einmal die Mühe machte, den Küchenboden eines Hauses in Korinth zu durchsieben, fand sie in dem Lehm 13 797 Knochen, Gräten, Schuppen und Schalen von Säugetieren, Vögeln, Hühnereiern, Fischen, Fröschen und Schnecken. Auch in den Speisesälen der Herrenhäuser verfuhr man ähnlich mit dem, was sich zum Verzehr nicht eignete. Ein beliebtes Motiv für die Mosaikfußböden der Eßräume waren verstreute Speisereste. Kunstvolle Bildchen von kahlgefressenen Weintraubenstielen, abgenagten Knochen und ausgelutschten Muschelschalen zierten den Boden unter dem Tisch des Hauherren. Da fiel es kaum mehr auf, wenn beim Gelage die unverdaulichen Reste des Festes auf den zweifellos kostbaren Fußbodenbelag geworfen wurden.
Doch auch Fälle von Recycling sind im alten Rom bekannt. So konnte, wer seine Blase nicht auf die Straße entleeren wollte, dies in extra für diesen Zweck aufgestellte Amphoren tun. Damit kein Tropfen verschüttet wurde, hatte man den Amphoren die Mündung abgeschlagen und so die Öffnung zielfreundlich erweitert. Diese amphora in angiporto, „Amphoren im Nebengäßchen“, gehörten den Walkern und Gerbern, die Urin für ihr Gewerbe benötigten, und die mit den stillen Pissoirs der Seitengassen eine nie versiegende Quelle ausschöpfen konnten. Gebrauchte Amphoren ließen sich für allerlei Nützliches zweckentfremden. Sogar ihre Toten begruben die Römer darin, wenn eine neue Urne oder gar ein schöner Stein-Sarkophag zu teuer war.
Auch wenn der Umgang mit Müll im alten Rom nicht gerade gesundheitsförderlich gewesen sein mag, umweltschädigend kann man ihn trotzdem in den meisten Fällen nicht nennen. Eine der frühen überlieferten Umweltsünden wurde allerdings vom Kaiser Claudius begangen, der unmittelbar nach dem tobsüchtigen Caligula das Amt des Herrschers über das Römische Reich übernahm. Sein Vorgänger hatte bei seinem Ableben immense Mengen an Giftvorräten hinterlassen. Diese hatte er angelegt, um seine Feinde ins Jenseits befördern zu können, und bekanntlich hatten römische Kaiser der Feinde nicht gerade wenig. Wohin nun mit dem Zeug? Claudius ordnete an, die Ampullen und Fläschchen ins Meer zu entleeren. Doch die Aktion ging, wie der Schriftsteller Sueton berichtet, „nicht ohne ein großes Fischsterben“ vor sich. Unzählige Fische trieben in Folge dieser ersten Giftmüllverklappung der Geschichte bauchoben an den Strand.
Erschienen im Spiegel 39/2002.