Die Sklavin des Präsidenten

Es hätte eine ergreifende Romanze sein können. Die Anfänge der Geschichte reichen bis nach Paris. In der Stadt der Liebenden ist der große, etwas ungelenke Mann Botschafter der Vereinigten Staaten. 1787 lässt er seine geliebte Tochter Patsy — seit dem Tod ihrer Mutter Martha eine Halbwaise — über den Atlantik nach Frankreich holen. In Patsys Schlepptau befindet sich die damals 14-jährige Sklavin Sally Hemings. „Black Sally“ wurde sie genannt, wenn man später hinter vorgehaltener Hand in Amerika über sie sprach. Schwarz war Sally jedoch nicht. Schon ihre Mutter, Tochter einer afrikanischen Sklavin, hatte einen englischen Seemann zum Vater, und Sallys Vater war ebenfalls ein Weißer. Ein Mit-Sklave beschrieb die junge Sally als „verdammt weiß und bildschön“. Das Geheimnis, ob sich zwischen der katzenäugigen Mulattin und dem großen blonden Mann mit den Sommersprossen und den hellen Augen bereits seit 1787 in Paris erste Liebesbande sponnen, nahmen die beiden mit ins Grab. Und vermutlich hätte die Öffentlichkeit die beiden in Frieden ruhen lassen, wäre der Botschafter nicht Thomas Jefferson gewesen, Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der USA. So aber ging es in die Geschichtsbücher ein, dass Sally 1789, als die Familie Jefferson auf die heimatliche Plantage Monticello zurückkehrt, keine Jungfrau mehr ist, sondern hochschwanger.

In den folgenden Jahren, während der sie Monticello nie wieder verlässt, gebärt sie sechs weitere Kinder, ohne daß auch nur für eines ein offizieller Vater angegeben wird. Es ist zu jener Zeit nicht ungewöhnlich, daß Sklavinnen Kinder ohne offiziellen Vater zur Welt bringen. Zum Beispiel war Sallys Erzeuger mit großer Wahrscheinlichkeit John Wayles, der Schwiegervater Jeffersons. Auffallend ist nur, daß Sallys Söhne und Töchter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, einem erklärten Gegner der Sklaverei, wie aus dem Gesicht geschnitten sind.

Von diesem Umstand hört auch James Callender, dem Jefferson eine Stelle als Postmeister in Richmond verweigert hat. Callender formt Fakten aus den kursierenden Gerüchten um die heimliche Vaterschaft Jeffersons und stellt ihn durch ihre Veröffentlichung vor der ganzen Nation bloß. Der wehrt sich nie gegen die Anschuldigungen, und so fragt sich Amerika seit jenen Tagen: „Hat er oder hat er nicht?“ Kein Sumpf ist zu dreckig, um darin nicht nach Beweis oder Widerlegung zu wühlen. Sogar die Empfängnisbereitschaft Sallys wird später nach den Mondphasen ihrer Jahre auf Monticello berechnet und peinlich genau mit den Wochen der Anwesenheit Jeffersons auf der Plantage verglichen.

Von pikanter Aktualität wird der „Fall Sally“, als 1998 durch die Praktikantin Monika Lewinsky wieder ein amerikanischer Präsidenten in eine ähnlich prekäre Lage gerät. Zur Klärung des 200 Jahre alten Falles kann man sich nun moderner Methoden bedienen, und tatsächlich bringt ein DNA-Test Licht ins Dunkel der Geschichte. Über Sallys erstes und ihr letztes Kind kann die Wissenschaft klare Aussagen machen. Die Nachkommen von ihrem Erstgeborenen tragen nicht das JeffersonÕsche Y-Chromosom. Die Nachfahren ihres letzten Sohnes aber sehr wohl. Doch die Erkenntnis wirft neue Fragen auf: Welcher der etwa 25 männlichen Jeffersons, die in den fraglichen Jahren auf Monticello ein und aus gingen, hat Sallys Kindern seine Gene vermacht, und welcher hat nicht?

Erschienen als Teil der Serie „Der Aufstieg Amerikas — Von der Kolonie zur Großmacht“, stern 8/2002