Wurde in den alten Tagen, als der Westen noch wild war, ein Amerikaner geboren, so legten ihn seine Eltern auf einen Quilt. Und starb ein Amerikaner, so geschah dies meisst unter einem Quilt. Quilts begleiteten ihn von der ersten bis zur letzten Stunde seines Daseins. Kaum ein ander Ding ist so eng mit dem amerikanischen Leben verknüpft wie die gesteppten Patchwork-Decken.
Traditionell wurde ein Quilt nicht aus neu gekauftem Material gefertigt, sondern aus dem, was im Haushalt keine Verwendung mehr fand. Die Oberseite, zusammengesetzt aus vielen kleinen Stofffetzen, bestand aus den Resten abgetragener Kleider. In Zeiten, in denen selbst alte Kleider noch gekürzt, umgenäht oder neu zusammengestellt wurden, konnten auch Mehl-, Zucker- oder Tabaksäcke in Quilts eine neue Verwendung finden. Die Nähte der Säcke wurden aufgetrennt und der weiße Stoff in fröhlichen Farben eingefärbt. Bald stellten sich viele Firmen darauf ein und verkauften ihre Waren in geblümten oder mit kleinen Tieren bedruckten Säckchen.
Gefüllt wurden die Quilts mit Baum- oder Schafswolle. Wer sich das nicht leisten konnte, stopfte alte Zeitungen in die Decke, was sie zwar hart und steif machte, aber im Winter genauso gut wärmte. Der älteste bekannte amerikanische Quilt stammt aus dem Jahr 1704. Sein Futter besteht aus Papier, unter anderem sind in ihm Seiten eines Vorlesungsverzeichnisses der Universität Harvard verarbeitet.
Für die Unterseite eines Quilts wurde ein einziges großes Stück Stoff verwendet, meist ein durchgelegener Bettbezug oder ein abgewetztes Laken, manchmal aber auch größere Hafersäcke, die so den Aufstieg vom Pferdestall ins Schlafzimmer schafften.
Quilts erzählen Geschichten, erinnern an Ereignisse oder Personen. Selten arbeitete eine Frau allein an einer Decke. Die Entstehung eines Quilts, ein sogenannter Quilting Bee, war ein gesellschaftliches Ereignis, ein richtiges Fest. Die Frauen trafen sich schon am frühen Morgen, und während die einen lustig schwatzend die Nadeln durch den Stoff tanzen ließen, kochten und buken andere nebenan in der Küche. Kamen dann die Männer vom Feld nach Hause, glitt der Tag mit Essen und Tanzen in einen fröhlichen Abend über. So entstanden Freundschafts- oder Album-Quilts, die einer jungen Familie mitgegeben wurden, wenn sie sich auf den langen Weg nach Westen machte. Der Quilt war dann eine Erinnerung an die alten Freunde oder an die zurückgebliebenen Familienmitglieder, gefertigt aus deren Kleidung.
Oft waren es auch Ereignisse wie eine Wahl oder ein Jahrestag, zu denen gequiltet wurde. Politiker ließen ihr Wahlkampfmotto oder ihr Gesicht auf Stoffstreifen und Halstücher drucken, die dann in den Quilts verarbeitet wurden. Als 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, klaubten in den Nord- wie in den Südstaaten die Frauen ihre Stoffreste zusammen, um Decken für die Soldaten an der Front zu quilten. Allein für die Armee der Nordstaaten nähten Mütter, Schwestern und Ehefrauen mehr als 250 000 Quilts zusammen. Oft wärmte die Liebe, mit der sie gemacht wurden, die die Männer an der Front mehr als der Stoff. An einen dieser Quilts fand man die Notiz geheftet: Mein Sohn ist in der Armee. Wer auch immer von diesem Quilt gewärmt wird, an dem ich sechs Tage und den Großteil von sechs Nächten gearbeitet habe, möge sich an die Liebe seiner Mutter erinnern.
Alte Quilts haben heute einen hohen Preis. Auf einer Auktion kann ein besonders schöner Quilt schon mal für eine fünfstellige Summe den Besitzer wechseln. Auch heute wird noch gequiltet. Der AIDS-Memorial-Quilt zum Beispiel ist ein landesweites Projekt. Jedes einzelne kleine Stoffquadrat erinnert an einen Menschen, der an der Imunschwäche gestorben ist. 20 000 waren es 1992. Auch das Geschenk, das der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan dem britischen Thronfolger Prinz William zur Geburt machte, war ein Stück guter, alter, amerikanischer Tradition — ein Quilt.
Erschienen als Teil der Serie Der Aufstieg Amerikas — Von der Kolonie zur Großmacht, stern 8/2002