Revolution vom Band

Auch im Islam war am Anfang das Wort. Allah offenbarte es seinem Propheten Mohammed, und dieser verbreitete es in der Welt. Und das Wort war Macht. Mehr als tausenddreihundert Jahre später nutzte ein Sayed, ein direkter Nachkomme Mohammeds, erneut die Macht des Wortes — um aus dem Exil heraus der zweitausendfünfhundertjährigen Herrschaft der persischen Monarchie ein Ende zu bereiten. Ayatollah Khomeini sprach seine machtvollen Worte und schweißte sie in unspektakuläre kleine Plastikschachteln. Er stellte dem übermächtigen Heer des Schahs Reza Pahlewi eine Flut von Tonbandkassetten entgegen. Der greise Prediger setzte zur Verbreitung seines mittelalterlichen Weltbildes eine Technik ein, die damals auf dem neuesten Stand war.

Vom Schah im Oktober 1978 nach Frankreich verbannt, hatte sich Khomeini in Neauphle-le-Château nahe Paris eingerichtet. Hier entstand seine Propagandazentrale, hier drängten sich in vier winzigen Zimmern die Mitarbeiter und Besucher des Ayatollah. Persische Studentinnen arbeiteten für ihn als Sekretärinnen — unverschleiert, die Kopftücher hatten sie gegen Kopfhörer eingetauscht. In einem Nebenraum, vom Lärm der klingelnden Telefone und röchelnden Faxgeräte durch einen Teppichvorhang abgeschirmt, entstanden die Bänder, auf die Khomeini seine Ideen bannte. Er redete von Rückbesinnung auf traditionelle Werte, vom Kampf gegen die kulturelle Entwurzelung. Er verteufelte die Modernisierungsbestrebungen Reza Pahlewis und bediente sich doch selber der Methoden der Moderne, um seine Botschaft zu verbreiten. Eine andere Moderne sollte es sein, in die Khomeini den Iran führen wollte. „Ich möchte“, so der Ayatollah auf einem der Tonbänder, „dass ein Staat im Iran entsteht, der für alle Teile der Bevölkerung gut ist, unter dessen Schirm alle Schichten der Bevölkerung, alle Parteien und alle Zeitungen frei sein können, das Volk in Wohlstand lebt und die Kultur unseres Landes eine fortschrittliche Wendung nimmt.“

Seine Reden wurden in dem kleinen Büro in Neauphle-le-Château vervielfältigt, und von dort tief in Manteltaschen vergraben, zwischen Zahnbürsten versteckt oder in dreckige Socken gewickelt in den Iran geschmuggelt. Kaufleute und Geistliche, die aus Teheran nach Paris gekommen waren, kehrten mit den unscheinbaren Kassetten im Gepäck in die Heimat zurück. Mitarbeiter der Iran Air meldeten sich freiwillig als Kuriere. Einmal im Iran angekommen wurde der dünne Strom der Tonbänder zur reißenden Flut. Sie wurden von den feingliedrigen Händen der Gelehrten in die derben der Bauern gelegt, die nicht lesen, aber hören konnten, sie wurden in den engen Gassen der Basare weitergeleitet, und schließlich ertönte die Stimme Khomeinis per Lautsprecher von rund 80 000 Minaretten im ganzen persischen Reich. Und forderte auf zum Kampf gegen den Schah. Bald hallten die Straßen und Plätze Teherans wider vom wütenden Gebrüll der Demonstranten, weil ein alter Mann auf einem Gebetsteppich im 4000 Kilometer entfernten Frankreich es so gewollt hatte.

Khomeini wußte um die Macht der Worte. In den Abendstunden des 11. Februar 1979 vermeldete Radio Teheran den Untergang der persischen Monarchie: „Heldenhaftes muslimisches Volk des Iran, hisse das Banner des Stolzes und der Ehre und verkünde den Völkern der Erde das Ende der Tyrannei.“ Zwei Monate nach Khomeinis Heimkehr wurde die Islamische Republik als Gottesstaat ausgerufen. Die Durchsetzung der Theokratie kostete Tausenden von Menschen das Leben. Weder Parteien noch Zeitungen wurden jemals frei. Der versprochene Wohlstand blieb aus. Die Kultur des Landes versank noch tiefer in mittelalterlichen Strukturen, statt auf die Moderne zuzuschreiten. Khomeinis machtvollen Worten haftet der hohle Nachklang leerer Versprechungen an.

Erschienen als Teil der Serie „Mohammeds zornige Erben“, stern 49/2001