Erschienen in Geo, Februar 2010
Früher war das Leben geruhsamer? Von wegen!
Ständiges Telefonklingeln, fallende Aktienkurse oder Ärger im Büro – diese Sorgen plagten die alten Peruaner noch nicht. Und doch litten sie in weit höherem Maß an Stress als wir heute. Das beweisen Haarproben peruanischer Mumien, die von kanadischen Anthropologen untersucht worden sind.
Denn im Schopf lässt sich auch nach mehr als 1000 Jahren noch nachweisen, welche Mengen des Stresshormons Cortisol einst von den Nebennierenrinden eines Menschen produziert worden sind.
Für die Untersuchungen wählte das Team um Emily Webb zehn Individuen aus, die in der Zeit zwischen 550 und 1532 nach Christus gelebt hatten. Im alten Peru wurden Tote nicht beerdigt, sondern in Höhlen bestattet. Im trockenen Klima mumifizierten die Leichen und haben sich bis heute gut gehalten.
Ihr Stresspegel konnte bis zu zwei Jahre vor ihrem Tod zurückverfolgt werden. Haare wachsen gleichmäßig mit etwa einem Zentimeter pro Monat, daher lässt sich das zeitliche Muster von Stress und Entspannung gut bestimmen: Befand sich zum Beispiel an der Spitze eines zwölf Zentimeter langen mumifizierten Haares ein stark cortisolhaltiger Abschnitt, so war der Träger des Haares rund ein Jahr vor seinem Tod großem Stress ausgesetzt.
Im Durchschnitt, so fanden die Forscher, waren die zehn peruanischen Mumien zu Lebzeiten deutlich gestresster, als wir es heute sind. Während der Cortisolgehalt im Haar eines gesunden Menschen bei durchschnittlich 113 Nanogramm pro Gramm Haar liegt, brachten die alten Peruaner es auf mehr als das Doppelte.
Was aber hat die Menschen aus Cajamarquilla, Leymebamba, Puruchuco, Tucume und Nasca dermaßen gestresst? Genaues weiß man nicht. Zumal der Pegel nicht dauerhaft hoch lag, sondern stark schwankte.
Es könnten Kriege gewesen sein. Oder – besonders in den Monaten vor dem Tod – Krankheiten, die mit starken Schmerzen einhergingen.
Oder vielleicht einfach nur Hunger und die Ungewissheit, wo in langen Wintermonaten die nächste Mahlzeit herkommen sollte.