All die schnellen Pferde

Die große Mauer der Qin und Han als Schutz gegen nomadische Reitervölker des Nordens

Mao Dun, Khan der Xiongnu, ist ein unersättlicher Mann. Pferde und Frauen gelten ihm als liebster Zeitvertreib. Für beide gilt: Sie sollen in ausreichender Menge vorhanden sein. Und je edler in der Abstammung, desto mehr Vergnügen bereitet es dem Herrscher, sie gefügig zu machen. Kostbare Pferde besitzt der Khan des Nomadenvolkes bereits im Überfluss. Um seinen Bestand an Frauen aufzuwerten, nimmt er im Jahr 198 v. Chr. einen Vorschlag des chinesischen Gesandten Liu Jing an. Er erhält eine Prinzessin der Han zur Ehe, dazu als Brautgeschenk Seide, Alkohol, Getreide und andere Nahrungsmittel. Alles, was Mao Dun dafür tun muss, ist Han als gleichberechtigten Bruderstaat zu betrachten und die Mauer, welche die Han vor den Xiongnu schützen soll, als Grenze anzuerkennen. Noch im selben Jahr erhält der Khan die erste Han-Prinzessin für seine Sammlung.

Vier Jahre später stirbt Mao Duns alter Feind Gaozu, erster Kaiser der Han-Dynastie. Damit ist die Prinzessin für den Khan wertlos geworden, er fordert eine neue. Der Anführer der inzwischen sehr mächtig gewordenen Xiongnu giert sogar nach noch mehr. Er macht der verwitweten Kaiserin Lü ein unmoralisches Angebot: „Ich bin ein einsamer verwitweter Herrscher, geboren in den Marschen und aufgewachsen in den wilden Steppen im Land der Rinder und Pferde. Ich habe oft an der Grenze zu China gestanden, wünschend, ich könne dort hin reisen. Ihre Majestät ist ebenso eine verwitwete Herrscherin, die ihr Leben in Einsamkeit verbringt. Wie sind beide freudlos und haben keine Möglichkeit, uns zu amüsieren. Es ist mein Hoffen mit Ihnen zu tauschen, was wir haben, gegen das, was uns beiden fehlt.“

Lü schäumt vor Wut. Nur acht Jahre zuvor war ihr Mann mit 300 000 Soldaten gegen den Khan gezogen, bei Pingcheng in eine Falle geraten und nur knapp mit dem Leben davongekommen. Allzu gerne würde s��Ëie ihm die alte Niederlage und die neue Demütigung jetzt militärisch heimzahlen. Doch ihre Minister können die Kaiserinwitwe überreden, sich dem plumpen Angebot des Mao Dun mit einer diplomatischen Antwort zu entziehen: „Mein Alter ist weit fortgeschritten und mein Leben schwindet. Haare und Zähne fallen mir aus, nicht einmal gerade gehen kann ich mehr. Ihr müsst übertriebene Berichte von meiner Schönheit gehört haben. Ich bin es nicht wert, dass Ihr Euch so weit herablasst, mich zur Frau zu nehmen. Aber mein Land hat nichts verschuldet und ich hoffe, Ihr werdet es schonen.“ Mao Dun schont nicht und schert sich wenig um sein Wort, das er Liu Jing gegeben hat. 182, 181 und noch einmal 177 v. Chr. überschreiten seine Horden die Mauer und fallen in China ein. Erst 174 v. Chr. stirbt der Khan – ohne die Lü je berührt zu haben. Seine Nachfolger beharren auf die Prinzessinen-Lieferungen der Han-Herrscher. Als die Han-Kaiser Hui di, Wen di und Jing di den Thron besteigen, muss je eine Prinzessin ihr Elternhaus verlassen und den Rest des Lebens bei den Xiongnu fristen.

Trotz der immer wiederkehrenden Vertragsbrüche und Angriffe, versuchen die Han in der Folgezeit, auch andere Nomadenvölker mit der Herausgabe ihrer Töchter zu befrieden. Im Jahre 110 v. Chr. trifft es Prinzessin Liu Xijun. Immerhin bezahlt ihr künftiger Gatte, Fürst der Wusun, dem Vater der Braut noch 1000 Pferde als Mitgift. In ihrer neuen Heimat, dem Ili-Tal, klagt die unglückliche Kaisertochter:

Ein Zeltdach ist meine Wohnung
Aus Filz sind die Wände
Rohes Fleisch muss ich essen
Stutenmilch ist mein Getränk.

Nie verlässt mich der Gedanke an die Heimat
Das Herz blutet mir
Ein gelber Kranich wünschte ich zu werden
Und nach Hause zu fliegen.

Die Steppenherrscher scheren sich wenig um die Beschwichtigungsmaßnahmen der Han. Die Heirat mit einer chinesischen Prinzessin macht eben noch keinen Nomaden zum Gentleman. Und auch die große Mauer achten die Steppenherrscher kaum. Das ehrwürdige Bollwerk ist bei weitem keine neue Erfindung der Han, um die Feinde am Eindringen in ihr Reich zu hindern. Bereits seit der Regierungszeit des ersten Kaisers Qin Shihuang di (221 – 210 v. Chr.) soll sich die Mauer in einem riesigen Halbbogen von Lintao im Westen über die Innere Mongolei bis fast zur koreanischen Halbinsel ziehen. Der Legende nach ritt der Herrscher die Strecke mit seinem Zauberpferd ab. Nur alle paar Meilen setzte das geschwinde Tier einen Huf auf die Erde, wo dann sogleich ein Wachturm aus dem Boden wuchs. Die Wahrheit ist weit weniger fantastisch und nahm mehr Zeit in Anspruch: Meng Tian, bester Feldherr des Kaisers, brauchte zehn Jahre zu ihrem Bau. In der Biographie des Baumeisters heißt es: „Nachdem Qin die Welt geeint hatte, wurde Meng Tian ausgesandt, um mit einem Heer von 300 000 Mann die Rong-Barbaren im Norden zu vertreiben.

Er entzog ihnen das Gebiet südlich des Gelbe Flusses und baute eine
Mauer dem Verlauf des Geländes entsprechend und unter Einbeziehung natürlicher Hin��Ëdernisse und Pässe. Die Mauer begann in Lintao und erstreckte sich östlich des Liao-Flusses über eine Strecke von 10 000 Meilen (etwa 5000 Kilometer). Nachdem sie den Gelben Fluss überquert hatte, wand sie sich gen Norden und traf auf die Yang-Berge.“ Die Chinesen nennen ihre Mauer wanli chang cheng – 10 000 Meilen lange Mauer. Doch wan muss keine konkrete Längenangabe sein – es kann im chinesischen auch schlicht „allergrößte Zahl“ heißen.

Meng Tian hat gute Arbeit geleistet. In Lintao steht seine Mauer noch heute 3 Meter hoch. Am Fuß ist sie 4,20 Meter breit, die Krone misst immerhin noch 2,50 Meter. Die Soldaten errichteten das Mauerwerk hauptsächlich aus Stampflehm. Doch an einigen Stellen mussten sie gar nicht viel tun – hier standen noch die Wälle, die einst Qins Feinde gegen den expandierenden Staat errichtet hatten. Schutzmauern sind ein altes chinesisches Prinzip. „Die Mauer“ ist also im eigentlichen Sinne gar kein durchgehendes, am Stück erbautes Bollwerk, sondern eine lockere Abfolge von Verteidigungswällen aus verschiedenen Zeiten, an unterschiedlichen Orten gegen wechselnde Feinde errichtet.

Nach dem Tod des ersten Kaisers formieren sich die Machtverhältnisse neu. Südlich der Mauer, in Qin Shihuang dis Reich, begründet Gaozu 206 v. Chr. die Han-Dynastie. Nördlich des Walls vereint Mao Dun alle Nomadenstämme vom Amur-Becken im Osten bis zum Oberlauf des Irtysch im Westen und vom Baikal-See im Norden bis zum Knie des Gelben Flusses. Woher sein Volk der Xiongnu einst kam, ist bis heute unter Forschern umstritten. Vielleicht waren sie Proto-Mongolen – frühe Vorfahren des Dschinghis Khan – vielleicht aber auch ein Turkvolk oder Ureinwohner Sibiriens. In einem Antwortschreiben an den Han-Kaiser Wen di jedenfalls rühmt sich der Khan, „alle Stämme der Bogenschützen zu einer Familie gemacht zu haben.“ Mao Duns Steppenkrieger leben von der Viehzucht. Große Herden von Pferden, Rindern und Schafen treiben sie über die weiten Flächen Innerasiens. Landwirtschaft kommt zwar vereinzelt vor, ist aber selten. Denn nur wenige Xiongnu können sich mit dem chinesischen Brauch anfreunden, in Häusern zu leben. Sie bevorzugen weiterhin die mobilen Jurten. Eine weitere wichtige Einnahmequelle sind „Geschenke“, die sie von Nachbarstaaten im Gegenzug für Nichtangriffs-Pakte erhalten – wie jene Tributzahlungen, die zusammen mit den kaiserlichen Töchtern am Hofe Mao Duns eintreffen. Reichen diese „freiwilligen“ Abgaben nicht aus, starten die Xiongnu räuberische Expeditionen auf die andere Seite der Grenzmauer. Und manchmal zeigen sie sich sogar bereit, im Austausch gegen Seide, Alkohol und Getreide eine Gegenleistung zu erbringen. Denn sie haben im Überfluss, was Ihre chinesischen Nachbarn unendlich hoch schätzen: Pferde.

Doch jeder friedliche Kontakt erweist sich als schwierig und nur von kurzer Dauer. Um die Mitte des 2. Jh. v. Chr. klagt der Minister Chao Cuo in einer Denkschrift: „Die Xiongnu leben von Fleisch und Käse, kleiden sich in Pelze und besitzen weder Häuser noch Felder. Sie bewegen sich wie Vögel oder Tiere in der Wildnis. Sie verweilen nur an Orten, wo Gras und Wasser reichlich vorhanden sind, und ziehen weiter, wenn es daran mangelt. Heute weiden die Xiongnu an verschiedenen Stellen und jagen entlang der Grenzen, wobei sie Yandai, Shangjun, Beidi und Longxi bedrohen und nur auf die Gelegenheit warten, einen Einbruch zu unternehmen, sobald die Garnisonen verkleinert werden.“

Schließlich begreifen die Han, dass den Xiongnu mit Zuckerbrot nicht beizukommen ist. Sie ändern ihre Strategie. Im Jahr 138 v. Chr. schickt Kaiser Wudi eine 100 Mann starke Gesandtschaft unter dem Befehl des Zhang Qian auf die Reise zu den Yuezhi. Der Feldherr soll diesen tief mit den Xiongnu verfehdeten Stamm für ein Bündnis gegen den gemeinsamen Feind gewinnen. Doch Zhang Qian kommt nicht weit, er reitet direkt in die Arme der Xiongnu. Zehn Jahre lang lebt er als ihr Gefangener, bis ihm die Flucht gelingt. Wieder auf freiem Fuß setzt er seine Mission fort und findet die Yuezhi im Hochtal des Syr-Darja im Norden des heutigen Afghanistan. Deren Hass ist allerdings im Laufe der vergangenen Dekade merklich abgekühlt. Und die Probleme des fernen China interessieren die Yuezhi nicht. Zhang Qian kehrt gescheitert in seine Heimat zurück – doch nicht mit leeren Händen. Es sind vor allem Informationen, die der Diplomat seinem Herrscher liefert. Berichte aus Winkeln der Welt, die zuvor nie ein Chinese auf offizieller Mission betreten hat. Unbekannte Pflanzen, fremdartige Nahrungsmittel – und Beschreibungen von Lebensweisen und Handelsbeziehungen der Nomadenstämme. Neun Jahre später betraut der Kaiser Zhang Qian mit einer neuen diplomatischen Expedition. Er soll in die „westlichen Lande“ reisen, zu den Wusun, den Pferdezüchtern im Tal des Ili. Diesmal erreicht der Feldherr sein Ziel – die Oasen Zentralasiens, den Rand der hellenistischen Welt – ohne Zwischenfälle. Damit ist Zhang Qian der erste Reisende auf jenem Weg von China in das Gebiet des heutigen Iran, auf dem ihm bald tausende von Karawanen folgen sollen: der Seidenstraße.

Noch ist diese Reiseroute allerdings alles andere als erschlossen. Sie ist wildes Grenzgebiet, Niemandsland, ständiger Zankapfel zwischen rivalisierenden Nomadenstämmen. Doch während Zhang Qian bei den Xiongnu in Gefangenschaft sitzt, ändern sich am Hofe der Han die politischen Vorzeichen. 133 v. Chr. gewinnt die Kriegspartei die Oberhand. Die Zeit des Zuckerbrotes ist endgültig vorbei. Die Jahre der Peitsche haben begonnen. Zunächst besinnen sich die Han auf den Zweck der Mauer des Qin Shihuang di als befestigtes Bollwerk. Sie verstärken das Mauerwerk und besetzen die alten Wachtürme neu. Rückblickend schreibt der Dichter Li Bai (705 – 762) über die Maßnahmen im Kampf gegen die nördlichen Nachbarn:

Seit alter Zeit haben sie [die Xiongnu] nichts zurückgelassen als weiße Gebeine in Flächen gelben Sandes.
Das Haus Qin erbaute die Mauer
als Schutzwall gegen die Hu [-Barb��‚aren],
das Haus Han fügte die Signalfeuer hinzu,
jene Feuer, die nie aufhören zu brennen….

Dann wagen sich die Chinesen über den Schutz der Mauer hinaus. 129 v. Chr. stürzt sich ein Heer von 10 000 Reitern auf die Xiongnu. Doch die schlagen zunächst tapfer zurück, Jahre des Krieges folgen. Um die menschenleeren Gebiete verteidigungsfähig zu machen, zwingt der Kaiserhof 100 000 Menschen zur Umsiedlung in die Grenz-Kommanderien Shuofang und Wuyuan. 119 v. Chr. fällt West-Gansu an die Chinesen. Und als das Jahrhundert sich dem Ende neigt, ist der gesamte Gansu-Korridor bis zum Rand der Wüste unter chinesischer Kontrolle. Die Grenzen haben sich verschoben, die Mauer wird nach Westen verlängert: Bis Yumenguan reicht nun der befestigte Grenzwall.

Das Schlüsselloch zur Seidenstraße allerdings fehlt noch. Jeder, der den Gansu-Korridor passieren will, muss durch Loulan, wenn er nicht einen weiten Umweg über Yiwu (Hami) oder Yangguan machen will. Und damit liegt die Entscheidung über Erfolg oder Scheitern einer jeden Mission, einer jeden Handelsexpedition, in den Händen dieses Staates. Wasser, Lebensmittel und ortskundige Führer gibt oder verweigert Loulan, je nach finanzieller oder politischer Gunst des Augenblicks. 109 v. Chr. bringen die Chinesen auch dieses Nadelöhr unter ihre Kontrolle. Hier in den Bergen von Loulan nehmen später sowohl die nördliche als auch die südliche Route der Seidenstraße ihren Anfang. Der Weg ist nun frei für den Austausch von Waren statt von Feindseligkeiten. Die Zeit ist reif, der Bedarf ist groß. Die Nomaden wollen die Seide und den Alkohol der Chinesen. Und im Gegenzug verlangt es diese nach den zähen, schnellen Pferde der Steppenvölker.

Doch Frieden ist immer zerbrechlich. Die hart erkämpfte Grenze muss jetzt mit äußerster Wachsamkeit geschützt werden. Schon Chao Cuo hatte in seiner Denkschrift gegen die Xiongnu vorgeschlagen: „Eure Majestät ist besorgt über die Grenzunruhen. Es wäre vorteilhaft, Generäle und Beamte mit Truppen zu entsenden, um die Grenzgebiete unter Kontrolle zu bekommen. Es sollten Leute ausgewählt werden, um diese Randzonen dauerhaft zu besiedeln, Familien zu gründen und Ackerbau zu betreiben und sich gleichzeitig gegen mögliche Einfälle der Xiongnu zu wappnen. Dann können wir hohe Mauern errichten und tiefe Gräben ausheben, und innerhalb der Mauern können wir Felsblöcke und natürliche Hindernisse aufrichten. An strategisch wichtigen Punkten und Pässen können wir kleinere Städte mit jeweils tausend Haushalten gründen.“

Die Grenze im Nordwesten besteht aus nicht viel mehr als der unendlichen Weite der Steppe, durch die sich streckenweise mehrere Verteidigungswälle von Osten nach Westen ziehen. Von Zeit zu Zeit erhebt sich ein Wachturm oder eine kleine Siedlung von Grenzern aus der Ebene. Noch heute sieht es im Gansu-Korridor nicht viel anders aus. Hier und da stößt der Reisende auf eine verwitterte Mauer im Niemandsland, eine verfallene Festung, ein eingestürzter Wachturm. Verwaschene, ungebrannte Ziegel markieren den Verlauf des einstigen Verteidigungswerkes, vermengt mit Reisigbündeln, gestampfter Erde und gelegentlich einem Steinblock.

Nur wenige Freiwillige ziehen in den Norden, um die Grenze zu schützen. Soldaten aus allen Teilen des Landes leisten als Zwangsrekrutierte hier ihren Dienst. Sträflingen wird die Haft erlassen, wenn sie sich zur Versetzung an die Mauer melden. Wen es hierher verschlagen hat, den erwartet ein Leben in einer trostlosen Mondlandschaft aus Sand und Kies. Die Kälte der Nächte – und vor allem des Winters – entziehen dem Köper alle Lebenskraft. Der Sold ist mager – viele bessern ihr Einkommen mit Tauschhandel auf. Herrscht Frieden, dehnen sich die Tage in der endlosen Langeweile von Routinearbeiten. Und jede Störung der Eintönigkeit durch einen Überfall der Feinde kann den Tod bringen.

Die Soldaten werden ermutigt, ihre Familien nachzuholen. So soll das öde Land besiedelt werden. An einigen Stellen entstehen tatsächlich landwirtschaftliche Siedlungen (tuntian) und Gestüte zur Pferdezucht. Doch viele würden ihre Familien diesen unmenschlichen Lebensumständen nicht aussetzen wollen. Gegen Ende der Han-Herrschaft (frühes 3. Jahrhundert) verfasst der Dichter Chen Lin das Klagelied eines Soldaten:

Ich tränkte mein Pferd an der Langen Mauer,
mit Wasser so kalt dass die Knochen gefroren;
Ich ging hin und sprach mit den Lang-Mauer-Boss:
„Wir sind Soldaten aus Taiyuan – sollen wir hier für immer sein?“
„Das Werk fürs Gemeinwohl muss nach Plan geleistet sein –
schwing Deinen Hammer und sing mit dem Rest.“
Ein Mann stirbt besser in der Schlacht,
als sein eigen Herz zu essen beim Bau der Mauer!
Die Lange Mauer – sie windet und windet
windet und windet dreitausend mal drei.

Hier an der Grenze, so viele starke Jungs;
und in den Häusern daheim so viele Witwen und Frauen.
Ich schrieb einen Brief an mein Weib daheim:
„es ist besser, neu zu heiraten als zu warten –
diene Deiner neuen Schwiegermutter mit Hingabe
und erinnere Dich manchmal an den Ehemann,
der ich einst gewesen…“

Die Männer dienen in Abteilungen (sui), die wiederum zu Zügen (hou) und Kompanien (houguan) zusammengeschlossen sind. Oberstes Gebot ist die Wachsamkeit. Bemerkt ein Soldat etwas Ungewöhnliches, entzündet er einen bereitgestellten Holzhaufen. Bei Tag nutzt er junges Holz, dessen Rauchsäule weithin sichtbar ist. Bei Nacht lodern die Flammen großer, trockener Scheite durch die Dunkelheit. Weitere Signale mit komplizierten Rauch- und Flammencodes erlauben die Übermittlung von Nachrichten – von Posten zu Posten springt dann die Botschaft, entlang hunderter Kilometer. Kuriere befördern auf schnellen Pferden Briefe entlang der Mauer. Schließlich gehört es auch zu den Aufgaben der Soldaten, Lehmziegel herzustellen – für Ausbessserungsarbeiten an der Mauer, zum Bau und Unterhalt der Verteidigungsanlagen. Wer noch Kapazitäten frei hat, arbeitet auf den Feldern. Die meisten Männer in der Truppe kennen nur wenige Schriftzeichen. Nur selten finden Archäologen private Texte zwischen den offiziellen Listen und Aufzeichnungen der Befehlshaber – hier eine Weissagung, da einen medizinischen Ratschlag.

Wären die Han-Soldaten im größeren Umfang des Schreibens mächtig gewesen, so hätten sie in ihren Briefen auch kaum etwas erzählen können. Der Offizier Zheng diente bereits fünf Jahre lang in der Nähe von Helingeer in der Inneren Mongolei, als er in einem Schreiben sein Leben an der Mauer mit folgenden Worten zusammenfasst: „Die Entfernung ist groß; Kontakte mit anderen sind selten; meine Funktion ist belanglos und meine Person unbedeutend; der Briefverkehr ist mit Schwierigkeiten verbunden, Ich bitte, das zu entschuldigen; ich bitte um Entschuldigung…“ Weiter unten fügte er hinzu: „An der Grenze im Norden befinde ich mich in einem öden Land, es gibt weit und breit nichts, was der Erwähnung wert wäre. Ich bitte um Entschuldigung…“

Dieser Text diente als erste Vorlage für die Fernsehproduktion „ Der Superwall – Chinas Große Mauer“.

Produziert von Gruppe 5 für ZDF, ZDF-E, National Geographic Channels International, National Geographic Channel US, SBS, in Kooperation mit CCTV und CITVC.

Den Trailer auf der Webseite der Gruppe 5 ansehen»

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