Die Neandertaler aßen Kamille und Schafgarbe, darauf deuten jedenfalls Spuren der Kräuter, die Forscher auf Zähnen aus einer nordspanischen Höhle fanden. Wussten die Urmenschen also um deren heilende Wirkung und pflückten die Pflanzen gezielt? Nein, glauben die Anthropologen Laura Buck und Chris Stringer vom Natural History Museum in London und liefern jetzt im Fachblatt „Quarternary Science Reviews” eine andere Erklärung dafür, wie die bitteren Blätter ins Gebiss der Neandertaler geraten sein könnten: Die frühen Jäger, glauben die Forscher, hätten nicht nur das Fleisch erlegter Tiere, sondern auch deren Mageninhalt zu sich genommen. Als Beispiel für solche Essensvorlieben führen die Wissenschaftler die Aborigines und die Inuit an. In diesen Kulturen werden Inhalte von Känguru- beziehungsweise Rentiermägen noch heute gern gegessen. Sollte diese These stimmen, hätte sich für die Neandertaler die Zweitverwertung der teilverdauten Nahrung gelohnt – die zeit- und energieaufwendige Suche nach raren Pflanzen wäre ihnen dabei von den mobilen Beutetieren abgenommen worden. Allerdings schließen die Londoner Forscher nicht aus, dass die Neandertaler um die Heilwirkung der Pflanzen wussten. Sie könnten die Bitterkräuter deshalb mal als Medizin gesammelt und mal als Sättigungsbeilage zum Braten genossen haben.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 44/2013.