Erschienen in Geo, April 2011
Schon die Wikinger kannten womöglich einen Kompass – wenn auch keinen magnetischen
Manchmal dauert es auch heute noch lange, bis wissenschaftliche Untersuchungen die gebührende Beachtung finden.
Ein neuer Sammelband zum Thema polarisiertes Licht der Zeitschrift Philosophical Transactions enthält einen älteren Beitrag des Ungarn Gábor Horváth. Er vermutet seit Jahren, dass nicht nur Tiere polarisiertes Licht zur Navigation nutzen können, sondern auch Menschen.
Horváth glaubt nämlich an einen wahren Kern in den alten Legenden der Wikinger um den sogenannten sólarsteinn – ihren mythischen Sonnenkompass. Einen solchen benutzte angeblich König Olav der Heilige bei leichtem Schneetreiben, um trotz bewölkten Himmels den Stand der Sonne – und so die Himmelsrichtung – zu bestimmen. Tatsächlich gibt es Steine, mit denen das möglich sein könnte. Kalkspat zum Beispiel, oder Cordierit, ein Silikat, das in Skandinavien häufig vorkommt. Diese Kristalle filtern das Licht, das in einer bestimmten Richtung polarisiert ist, heraus und erscheinen so bei entsprechend polarisiertem Licht dunkler oder in einer anderen Farbe. Hält man einen solchen Stein zum Himmel, kann man ihn so lange drehen, bis sich aus Farbe oder Helligkeit die Position der Sonne erschließen lässt.
Doch dass der Stein auch zur Navigation tauge, galt bislang als Märchen. Vielmehr vermuteten Historiker, die Wikinger hätten die Position der Sonne nach dem Saum von Wolkenrändern oder Helligkeitsstufen der Dämmerung bestimmt.
Allerdings: Probanden, denen Horváths Team Aufnahmen des bewölkten Himmels im Norden Finnlands vorlegte, konnten daraus die Sonnenposition nicht bestimmen. Ihre Schätzungen wichen bis zu 99° ab von der korrekten Position – so hätten die Wikinger ihr Ziel gewiss nicht gefunden. Also doch der Steinkompass?
Horváth untersuchte daraufhin, ob auch bei starker Bewölkung das Licht der Sonne zu einem gewissen Anteil polarisiert beim Beobachter ankommt. Mit positivem Ergebnis: Theoretisch wäre also eine Navigation mittels Sonnenstein möglich.
Wie entscheidend der Stein für die Seefahrer war, bleibt aber unklar. Denn deren wohl wichtigstes Gut war die Erfahrung – zumindest in bekannten Gewässern. Und selbst in fremdem Terrain verließen sich die Wikinger sicherlich nicht ausschließlich auf den Sonnenstein.
Laut dem Landnámbók, der mittelalterlichen Chronik der Besiedlung Islands, hatte der Entdecker Flóki Vilgerdarson drei Raben an Bord: Auf offener See schickte Flóki seine Vögel aus. Der dritte von ihnen flog angeblich zielstrebig auf die isländische Küste zu und zeigte dem Entdecker so den Weg. Ganz steinlos.