Die Bewohner der Stadt Teotihuacán im heutigen Mexiko waren offenbar Meister der Wiederverwertung. Sie verarbeiteten Knochen von gerade verstorbenen Vorfahren und machten daraus Knöpfe, Kämme, Nadeln, Spatel und andere Haushaltsgegenstände. Auf diesen makaberen Brauch sind jetzt Experten von der Universidad Nacional Autónoma de México nach der Analyse von etwa 5000 Knochenfragmenten aus den Jahren zwischen 200 und 400 nach Christus gestoßen. Die Archäologen fanden Kratzspuren von Steinen, mit denen die Hinterbliebenen das Fleisch und die Sehnen von den Knochen ihrer gerade verstorbenen Verwandten schabten. Die Knochen mussten noch frisch sein, weil sie nach dem Austrocknen zum Bearbeiten zu spröde waren. Dass es sich bei den Toten tatsächlich um Bewohner von Teotihuacán und nicht um ermordete Feinde handelte, ergab ein genauer Vergleich der Stirnhöhlenknochen, die für eine Bevölkerung jeweils chrakteristisch sind. Nach Ansicht der Forscher könnten die Nachfahren versucht haben, in den Werkzeugen die guten Eigenschaften der Toten zu bewahren. Sie könnten aus den Armknochen eines Schneiders Nadeln gefertigt haben, um seine Begabung am Leben zu erhalten, spekuliert Grabungsleiterin Abigail Meza Peñaloza. Oder jemand machte Knöpfe aus den Knochen seiner Großmutter, um sich immer an sie zu erinnern.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 34/2010.