Das Lächeln des Todes

Erschienen in Geo, Juli 2009
geschichte – Forscher haben die giftige Pflanze gefunden, deren Extrakt das »sardonische Grinsen« auslöst
Auf Sardinien gab es in vorrömischer Zeit einen grausi-gen Brauch: Wer zu alt war, um sich selbst zu versorgen, den erschlugen seine Söhne oder stießen ihn die Klippen hinab. So jedenfalls berichtete es der griechische Geschichtsschreiber Timaios.
Damit die Todgeweihten ihrem Ende trotzdem scheinbar unerschrocken und lächelnd entgegentraten, flößten die Kinder ihnen zuvor einen Trank ein, der ihre Gesichter zu einem Lachen gefrieren ließ: dem sardonischen Grinsen.
Italienische und polnische Wissenschaftler um Giovanni Appendino von der Università del Piemonte Orientale in -Novara haben nun heraus-gefunden, aus welchem Kraut die Sarden ihren Hinrichtungstrank brauten: aus toxi-schen Arten des Wasserfen-chels (Oenanthe), die auf der Insel heimisch sind.
Infrage kommt vor allem die Safranrebendolde (Oenanthe crocata), die Oenanthotoxin und Dihydrooenanthotoxin in hoher Konzentration enthält. Diese giftigen Sub-stanzen blockieren den Nervenbotenstoff γ-Aminobuttersäure (GABA) und führen dadurch zu Muskelkrämpfen – in diesem Fall einer grimassenhaften Gesichtslähmung.
Der Extrakt schmeckt süßlich und duftet angenehm. Das macht die Safranrebendolde zum wahrscheinlicheren Kandidaten für den Cocktail als -andere ebenfalls auf Sardinien heimische Oenanthe-Arten. Der Röhrige Wasserfenchel (Oenanthe fistulosa) etwa, der verwandte Giftstoffe enthält, ist so bitter, dass weder Mensch noch Tier in Versuchung kommen, ein Stück davon zu verspeisen.
Der süße Duft und Geschmack der Safranrebendolde hingegen machen diese Pflanze zu einem für Tier und Mensch gefährlichen Kraut, zumal die Wurzel auch optisch einer leckeren Pastinake oder einem knackigen Möhrchen ähnelt.
Schon früh wurde das freudlose Lachen angesichts eines tödlichen Schicksals zum geflügelten Wort. Nicht immer ist der Lachende der Todgeweihte selbst. Homer etwa lässt seinen Helden Odysseus sardonisch lachen, bevor dieser einen der Freier seiner Frau Penelope erschlägt (Odyssee, 20. Gesang, Vers 301–2).
Mediziner verstehen heute unter dem sardonischen Grinsen (Risus sardonicus) die Kon-traktion der Gesichtsmuskeln beim Wundstarrkrampf. Diese wird aber nicht durch Pflanzengifte, sondern durch Bakterien des Stammes Clostridium tetani ausgelöst.

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