Am Karfreitag des Jahres 1865 schoss ein Attentäter den US-Präsidenten Abraham Lincoln nieder. Tötete der Mörder einen ohnehin Todgeweihten? Das will der US-Kardiologe John Sotos herausgefunden haben. Lincoln habe an multipler endokriner Neoplasie (MEN) des Typs 2B gelitten – einer seltenen Erbkrankheit, die Schilddrüsenkrebs hervorruft. Der Präsident, so die späte Ferndiagnose des Mediziners, hätte wahrscheinlich das Osterfest des Folgejahres nicht mehr erlebt. Seine Diagnose stützt Sotos auf Fotos uns Zeitzeugenberichte. Ein Hinweis auf MEN2B sei zum Beispiel die außergewöhnliche Körpergröße Lincolns, der mit 1,93 Meter der längste US-Präsident der Geschichte war. Auch Beulen auf Lincolns Lippen, zu erkennen auf einem Gesichtsabdruck aus Gips, sprächen für die Erbkrankheit: Sotos deutet sie als charakteristische Nervenverwachsungen, sogenannte Neurone. Schon den Zeitzeugen war der Verfall des Präsidenten aufgefallen. Lincoln selbst habe gemutmaßt, er werde das Ende des Bürgerkrieges nicht erleben. Um seine Theorie zu untermauern will Sotos nun eine Lincoln-Reliquie aus einem Militärmuseum in Philadelphia untersuchen: jenen Kissenbezug, an dem nach dem Attentat Blut und Gehirnmasse des Präsidenten kleben blieben, die sich vielleicht für eine DNA-Analyse eignen.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 18/2009.