Ein Eisenstab ragte aus der Brust des Mannes, der auf dem Gelände des Nicolai-Klosters im bulgarischen Sozopol bestattet worden war. Für die Archäologen, die sein Skelett jetzt untersuchen, ein klarer Fall: Seine Zeitgenossen hatten den Mann für einen Vampir gehalten und wollten so verhindern, dass es des Nachts zum Blutsaugen aus seinem Grab aufsteht. Nach eingehenden Nachforschungen glaubt der Ausgräber Boschidar Dimitrow auch den Namen des vermeintlich Untoten zu kennen. Bei dem Vampir von Sozopol handele es sich wahrscheinlich um einen Mann namens Kriwitsch – einen berüchtigten Piraten und Banditen, der einst zum Bürgermeister der Stadt aufgestiegen war. Zu seinen Lebzeiten im 14. Jahrhundert galt Kriwitsch als schlechter Herrscher, der die Einwohner der Stadt terrorisierte. Nach seinem Tod hatten die Bürger von Sozopol Angst, dass er, weil seine Seele ihrer Ansicht nach niemals in den Himmel gelangen konnte, eines Nachts wiederkehren und Tieren und Menschen das Blut aussaugen werde. Zwar mochten sie ihm nicht den Platz nahe der Klosterkirche verweigern, der ihm als Stadtoberhaupt zustand. Doch rammten sie ihm als Vorsichtsmaßnahme den Stab durch die Brust. Das Gebiss des Toten allerdings, beschwichtigt Dimitrow, weise nicht die Vampir-typischen Merkmale auf.
Erschienen in Prisma, Spiegel (Printausgabe) 26/2012.